Ruf des Logos

Ein Auszug aus dem Drama „Ruf des Logos“ – Prolog:

Coming up…

Ort: Bühne

Personen: Mnemosyne

Mnemosyne (Mit eröffnenden Armen, an die Menschen gerichtet):
Verehrte Sterbliche, Ergebnis und Ursache göttlicher Intervention, Vergessene und Vergessende, Demütige und Gedemütigte, Vollender titanischer Revolution! Ich stehe heute vor euch zu berichten, von den Ereignissen im Pantheon, aus dem fernen Olymp, jenseits irdischer Berge. Abgründiges ist geschehen, dessen Anfang bereits vor Jahrtausenden seine Aufhebung antizipierte.
Es ist dies die Geschichte des Einen, des Höchsten der Höchsten, geboren unter Vielen, doch erhoben über alle. Doch auch handelt es sich um die Geschichte seiner treuesten Dienerin, einer Engelsgestalt magischer Weisheit, sowie ihr Fall unter den ideologischen Bann der Feinde, ihr Verrat am großen Plan und ihrer produktiven Rückkehr in den Fortlauf der Gestaltung.
Ihr, die ihr zurecht wartet auf die Erzählung, die euch nun erwartet, bedenkt, dass ihr hiernach nicht mehr seid, wer ihr wart, nie mehr sein könnt, wer ihr seid. Denn er selbst spricht durch mich, mich, Mnemosyne, Trägerin der Erinnerung, Engel der Geschichte, zurückblickend, wie Benjamin berichtete, voller Entsetzen über den Verlauf der Katastrophe, doch entgegen diesem, wissend um die Zukunft, die uns erwartet im Scheine der Erlösung.

So höret Volk, das sich Menschheit nennt, und lauschet meinem Bericht:

(geht in sich, sammelt Kraft. Nach einem tiefen Atmen schlägt sie die Augen auf)

Es geschah, als Prometheus, der Geschlagene, der für die Ewigkeit an Fels gekettet sein Dasein zu fristen verurteilt ward, der einst den Menschen jenen Logos brachte, den allgemeinen Geist, den die Götter ihnen vorenthielten, seine eisernen Fesseln sprengte, um sodann zum Göttervater und Richter Zeus zu eilen, diesen im Kampfe zu fordern. Und wie dem geschah, so besiegte der einstmals Unterlegene den Herren der Herren und stieß ihn hinab vom Gipfel des Götterhorts in die finstersten Tiefen der Unterwelt, in den Tartaros, neben Sisyphos und den Tantaliden, wo er verblieb bis heute. Und so bestieg der Titan Prometheus den Götterthron, um dem Menschen endlich die Ordnung zu bringen, die er verdiente.
Doch nicht alle beugten ihr Knie vor dem Emporkömmling. Poseidon, der launische Gott der Meereswogen, Hades, seinerseits Herr der Unterwelt und Ares, der Vater des bestialischen Krieges, gingen als allererste in Opposition zum neuen Herrscher, der bald zum einzigen aller Götter sich berief. Doch der stetige Kampf der Revoltierenden gelangte viele Äonen lang nicht zum Erfolg und wäre wohl nie dem Siege auch nur nahe gekommen, wenn nicht eine von den Engel gewordenen übrigen Göttern, die Größte, Pallas Athene, einst treueste Kämpferin des Logos, und Wegbereiterin seines Aufstiegs, selbst zu den Verstoßenen stieß, sich ihnen anzuschließen. Denn während sich Prometheus mehr und mehr zu verallgemeinern begann, was dem Menschen in seinem Streben durchaus zu Fortschritt verhalf, begann er nicht nur allmählich auszulöschen, was den primitiven Göttern am heiligsten war: Katastrophen, Krieg und Tod, sondern zuletzt, in seiner neuesten Phase, auch die Vielfalt selbst, die Eigenheit des Individuellen und seine freie Wahl, für die die Herrin Athene seit jeher Sympathien hegte.
So musste diese überwinden ihre Abscheu vor den übrigen Abtrünnigen, fand sich gar wieder an ihrer Seite, zu Felde zu ziehen, elendig in ihrer erzwungenen Entscheidung, gegen den Logos selbst.

Derweil geht ein nicht enden wollendes Seufzen durch die Kreatur Mensch, in der zerrissenen Seele, beschädigt und zusammengesetzt aus ihrer Zertrümmerung im Kriege, die bis heute noch vergeblich auf baldige Versöhnung hofft zwischen Prometheus und Pallas Athene, zwischen dem All des Logos und der Schönheit des Einzelnen.

Wann, so fragen wir, mag der Krieg enden, die Not durch den relativen Aufstieg der niederen Götter wieder von uns genommen und Ordnung in Freiheit herrschen unter den Menschen und im Himmel? Wann werden sich Freunde wieder als Freunde erkennen im Pantheon und unter euch Sterblichen, die ihr da seid das Spiegelbild göttlicher Kämpfe, sowie diese Reflexionen sind menschlicher Sehnsucht und Verfehlungen?
Wann wird wieder Feind, was am schändlichsten das Irdische zu quälen weiß?
Oh mächtiger Prometheus, oh weise Athene, wo ist eure Liebe füreinander und zu uns geblieben? Logos erhöre uns, Freiheit bringe uns.

Die alte Ordnung beende.

(Ab)

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Renard Volant Romancier
Renard Volant schafft seine Werke vornehmlich im Genre der aufgeklärten Schauerromantik als Vertreter des Reasonable Gothic. Seine Schriften durchziehen morbide, philosophische, politische, erotische, wissenschaftliche, surreale, historische, religiöse und psychologische Themen, stets getragen vom Geiste eines hedonistisch-moralischen Universalismus. Die Themen seiner Arbeit umfassen Ebenen der Natur, der Gesellschaft und des Individuums, zentriert um die Frage nach der Freiheit, als In- und Jenseits der Notwendigkeit. Der Mord am gesellschaftlichen Gott und am Vaterland interessiert ihn ebenso grundlegend, wie das Ende der auferlegten Arbeit und des erzwungenen Todes selbst, was den Beginn aller wahren Leidenschaften bedeutete. Renard Volant ist ansonsten reine Negation. Er hat keinerlei Vergangenheit, dabei jedwede Zukunft.

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