Es begab sich einst, da verliebte sich die Tochter des Diktators in einen jungen, gadranischen Filmemacher. Ihr Vater jedoch, der mächtigste Mann jener totalitären Gesellschaft, der nicht davor zurückschreckte Furcht, Tod und Terror zu sähen, um seine Macht auf dem Gefühl ständiger Unsicherheit und Gefahr zu gründen, war eifersüchtig und missachtete den jungen Buhler, insbesondere in Hinsicht auf seine fremde Herkunft. Warum nur, so fragte er sich, konnte seine Prinzessin nicht einen der ihrigen finden und heiraten? Einen echten Roschen, wie es gehörte.
Doch die Tochter, ganz anders als ihr Vormund, offen für das Neue und in Unkenntnis der gröbsten und furchtbarsten Verbrechen ihres Vaters, gesellte sich tagein, tagaus zu ihrem Liebhaber, ganz offen und unschuldig. Wir wissen nicht, wie sich ihre Liebe äußerte, doch können wir uns vorstellen, wie rein und aufregend sie war, frisch und voller Zuversicht, voll von naiven Ideen und noch unwiderlegten Hoffnungen, süß und scharf und vollen Herzens. Sie waren eins und einig dieser Tage, wenn zwar nicht sorgenfrei, so doch zumindest in rosa Blütenstaub gehüllt.
Doch was tat der Patriarch, als er mit strengen Worten nichts mehr auszurichten vermag, seine Tochter sich ihm offen widersetzte und ihr Höfling nicht von ihr ließ? Es war das wohl naheliegendste, was einem unkontrollierten Diktator einzufallen möglich schien: Er brachte den Jungen fort, weit weg, in ein Arbeitslager, wo der adoleszente Gadraner die nächsten zehn Jahre verblieb, ehe er geschwächt und misshandelten Leibes seiner sich so angeigegneten Schwäche anheimfiel und verstarb. Wie nun vergalt es die politische Prinzessin ihrem tobsüchtigen Vater, der einzig bloß ihr stets so liebevoll gegenübertrat? Es dauerte kein Jahr, dann heiratete sie einen neuen Mann, ebenfalls Gadraner – und schuf geheiligte Fakten auf dem Fundament des Sakraments der Ehe. Dies war somit ihre Rebellion, ihre Revolte gegen den engstirnigen Roschen.
Was dann geschah, ist Geschichte. Die Gemeinschaft der zwei Liebenden brachte zwar ein Kind hervor, doch zerbrach diese alsbald von selbst und der bekümmerte Ex musste fliehen, um der späten Rache des missachteten Patriarchen zu entgehen. Diese Entwicklung soll uns aber nicht von Bedeutung sein, denn die Flucht gelang diesem glücklicherweise. So gehen wir stattdessen ein Zeitmaß zurück zu jenem Künstler von dereinst, der seine Liaison letztlich mit einem vergeudeten, zerstörten und in diesem Zustand letztlich noch beendeten Leben zahlte.
Wie mochte er sich an jenem Orte, einem wahrhaft kalten und entlegenen solchen, voller Grausamkeit und elendster Schufterei, über Wasser gehalten haben? Dachte er noch an seine Geliebte, seine aufrichtige Liebe, die auf ihn wartete und sich nach ihm verzehrte? Hoffte er gar auf ihren Einfluss, der das Herz des Despoten erweichen mochte, um ihn eines Tages doch zu erretten? War ihm die Vorstellung von ihr, an jenen unbeschwerten Tagen ihrer Leidenschaft, ein Trost und eine warme Decke in eisigen Nächten gewesen?
Wie schlimm dagegen muss es um sein ohnehin so zugerichtetes und gematertes Gemüt gestanden haben, als er allmählich begann zu registrieren, dass er tatsächlich verloren war, dass er das Lager voller Verbrecher in Uniform und Unterdiktatoren in Sträflingskleidung, die ihre Integrität für ein Stück Brot verkauften, nicht mehr verlassen würde.
Verurteilt wurde er durch den Tyrannen, doch verdammt durch seine Liebe, die ihn vergaß. Zurück nun zu der Diktatorentochter. Wie lange versuchte sie gegen das Schicksal ihrer Affäre zu kämpfen? Versuchte sie ihren Vater noch umzustimmen, gegen jede Einsicht in sein teuflisches Wesen? Wir wissen es nicht. Doch ihr bloß widerständig scheinendes Spiel, es ein weiteres Mal zu wagen, sich einen gadranischen Partner zu suchen, den sie womöglich ebenso aufrichtig liebte, offenbart uns den reinen Egoismus ihrer Rebellion.
Selbstverständlich sollte niemand von einer Frau erwarten, wie man von keinem Menschen je erwarten sollte, alleine zu bleiben, wenn ein geliebter oder zumindest kurzzeitig innig verbundener Teil des Lebens ein furchtbares Schicksal ereilt. Doch bestand ihre Revolte nicht aus der Gefahr eines Anderen, als sie erneut einen Gadraner wählte? Ist diese, ihre Wahl tatsächlich Ausdruck ihrer unbedingten Offenheit dem Fremden gegenüber, eine Absage an die Engstirnigkeit der Tradition – oder bloß der billige Versuch eines lediglich symbolischen Vatermordes, wo doch ein manifester von Nöten wäre?
Hat sich also die Patriarchentochter verstrickt in der Schuld ihres Seniors? Gewiss, sie brachte nicht den Terror, sprach nicht den Schuldspruch über den Filmemacher. Doch wie konnte sie ihn vergessen, ihre Liebe im Stich lassen, ihn, der doch ihre erste Liebe ihr spiegelte.
Zehn Jahre unter Männern, 10 Jahre unter Not, 10 Jahre unter Folter, 10 Jahre und er war tot.
Ein Leben lang litt die Prinzessin schließlich unter ihrem Vater, selbst noch nach seinem dahinscheiden. Sie hat sich nie befreit, nicht einmal mehr im Exil, lange nach der Zeit der furchtbaren Herrschaft ihres schrecklichen Gönners.
Noch heute hört man sie sagen: „Mein Vater war ein furchtbarer Mann“.
Doch niemals sprach sie über den jungen Gadraner, der viel älter nicht wurde. Jeder kennt heutzutage jenen Diktator, doch niemand den ersten Geliebten seiner Tochter, begraben im Eis. Auch ihr sei es verdankt.


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