Das überkosmische Elter

Wer nichts glaubt, außer an Gott – und nicht einmal weiß wer er sei – der verstiege sich womöglich zu mannigfachen Bildern.
Zwar bliebe ihm Kants Feststellung, dass – jenseits der Erscheinungen – dem Subjekt Erkenntnis nicht zugänglich sei, unwiderlegt, weil jeder Versuch dialektischer oder kybernetischer Intervention demgegenüber kraftlos blieb.
Doch verbliebe dem spekulativen Denken die Macht der Plausibilitätserkundung.
Dabei steht dem geneigten Vernunftreligiösen sogar eine ganze Palette möglicher Gottesbilder zur Verfügung:

Der Deismus eines Aristotelikers (Gott ist Ursprung), der Pantheismus eines Spinozisten (Gott ist Natur), der Panentheismus eines Hegelianers (Gott ist Prozess), u.v.m.
Eine Festlegung jenseits diffuser Ahnungen und Affekte dabei, so lehrten uns Feuerbach und Freud, ist uns allerdings nicht gestattet, wollen wir denn kritisch bleiben.
Doch manches Mal treibt einen der eigene Geist, sofern er der Mystik offen bleibt – freilich ohne zu wählen und zu setzen – zu erfühlten Lösungen, in sich zwar vielleicht noch logisch, doch empirisch vollkommen willkürlich.

So gefiel mir neulich der Gedanke, Ben Maimons Gott – der Negative, der Jenseitige, der Schöpfende – sei das Elter eines Kindes, des Universums im Werden, Hegels absoluter Geist, dessen Glieder wir darstellen.
Die Deodizee erschien mir endlich gelöst:
Der Gott, der wir sind, wäre nicht masochistisch.
Der Gott, der uns schuf, wäre nicht sadistisch.

Denn die einwertige Logik eines höchsten Wesens, das nur setzt, ohne zu urteilen, weil gut sei, was real ist, wäre im utopischen „Dereinst“ aufgehoben:
Schlechtes bliebe schlecht – weil es nicht beabsichtigt war.
Jede Grausamkeit, die uns widerfährt, bliebe so letztlich ein innerpsychischer Widerspruch diesseits der Jugend einer unvollendeten Unendlichkeit.

Und während der Elter, unendlich wohl, doch in unsere Richtung begrenzt, bereits Vollkommenheit aufwiese, so haderte dessen Kind noch mit sich selbst und seiner Macht:
Unser Leid wäre das seinige, befangen lediglich in endlicher Pubertät, mit Aussicht auf postadoleszente Erlösung.
Wohl auch wir selbst wären hierzu noch nicht bereit, weil uns als bewusster Ausdruck seines eigenen Bewusstseins noch die Mittel fehlten, um seiner heranwachsenden Seele Herr zu werden.
Seine unsterbliche Würde wartete so noch auf uns, während das Elter wohlwollend vorauszöge – unerkannt und ohne Vorbildfunktion.

Es ist eine schöne Imagination, wie ich finde, eine menschlich Analogie zum Göttlichen.
Doch vergesst mir nicht, solltet ihr mir hierin zustimmen, die lauten Stimmen Kants, Feuerbachs und Freuds, die einhellig warnend betonen:

Wahrscheinlich nicht.

Autoren-Avatar
Renard Volant Romancier
Renard Volant schafft seine Werke vornehmlich im Genre der aufgeklärten Schauerromantik als Vertreter des Reasonable Gothic. Seine Schriften durchziehen morbide, philosophische, politische, erotische, wissenschaftliche, surreale, historische, religiöse und psychologische Themen, stets getragen vom Geiste eines hedonistisch-moralischen Universalismus. Die Themen seiner Arbeit umfassen Ebenen der Natur, der Gesellschaft und des Individuums, zentriert um die Frage nach der Freiheit, als In- und Jenseits der Notwendigkeit. Der Mord am gesellschaftlichen Gott und am Vaterland interessiert ihn ebenso grundlegend, wie das Ende der auferlegten Arbeit und des erzwungenen Todes selbst, was den Beginn aller wahren Leidenschaften bedeutete. Renard Volant ist ansonsten reine Negation. Er hat keinerlei Vergangenheit, dabei jedwede Zukunft.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Translate »

You cannot copy this content of this page