Die junge Frau auf der Klippe

Die junge Frau auf der Klippe – Version 1: lyrische Prosa

Ich sehe eine junge,
erwachsene Frau –
ganz für sich allein.

Wohl ist sie lebendig und klug,
offenbar sportlich und stark.
Und in sanfter Leidenschaft ergriffen,
so sehe ich sie nackt.

Auf dem Abhang einer hohen Klippe
so sitzt sie da,
schaut verträumt herab,
den Blick gerichtet
bis weit über den Horizont,
über den Wald, den Fluss
und über die ferne Stadt.

Ich fühle mich in ihr,
wäre lieber noch sie.

Und doch…

Säße ich dort an ihrer Stelle,
so wäre ich doch einsam –
so ganz ohne sie.
Und wäre ich bloß bei ihr,
da verlöre sie gewiss
ihren Frieden,
wäre sie nicht mehr allein.
So darf ich sie nicht sein,
sie nicht einmal rühren,

nicht einmal das…

Und wie sie da ruht,
im sanften Wind
auf der Kluft der hohen Felsen,
da wünsche ich sie frei,
da wünsche ich sie glücklich.
Und mehr noch wünsche ich sie erregt,
wünsche sie mir in Gefahr.
Und doch wünsche ich ihr
keinen Schaden,
wünsche ihr keinerlei Furcht.

Ich wünschte sie mir doch bloß
an meiner Seite
und mich in ihr Selbst.

Doch wie könnte sie,
wie könnte ich…

ohne sie zu verlieren?

Das gefällt mir.

Mal sehen, ob ich es auch reimen kann…

Die Frau auf der Klippe – Version 2: romantisches Gedicht

Ich sehe eine junge Frau,
erwachsen, ganz für sich allein,
lebendig scheint sie, klug zu sein,
und nackt – in sanfter Leidenschaft ich schau‘,

auf hoher Klippe sitzt sie da,
ihr Blick gerichtet weit hinaus,
wo Fluss und Wald ihr Bild umfahr’n,
entfernt der fernen Stadt zuhaus,

ich träume mich in sie hinein,
wär‘ lieber noch sie selbst geheim,
doch säß‘ ich dort, wär’ einsam ich,
ohne sie, die alles hält für sich,

so darf sie mich nicht rühren hören,
nicht einmal das…
Denn jedes Nahen, ein stummer Hass,
der könnte ihren Frieden stören,

und wie sie da ruht, im sanften Wind,
auf Felsenklüften, frei allerlei,
da wünsche ich, sie glücklich sei,
und ihre Sinne sengend sind,

ich begehr‘ sie plötzlich heiß erregt,
und dennoch ohne Furcht befangen,
will sie im Beben, will sie im Bann,
– und doch keine Fessel je ihr legt,

Ich ‚zweifel sie mir an die Seite,
mich selbst in ihrem Wesen ganz,
doch wie berühr‘ ich aus Distanz,
ohne dass ihr Bild entgleite?

Das ist schön.

Es könnte so bleiben, darf so stehen für sich. Durchaus.
Doch es geht auch anders.
Ich will mehr, ich will es düster.
Vorhang auf für:

Die junge Frau auf der Klippe – Version 3: Schauerromantisches Gedicht

Des Nachts am düst’ren Gipfelstein,
steig ich hinauf zum Klageschrein,
dort leg ich mich im Sternenlicht,
auf hohen Ast für höchste Sicht,

doch was ich seh‘ erschreckt mich jähe,
ich kann es schwer in Worte fassen,
zwischen Nebel und Grimassen,
erblüht wohl eine Orchidee,

die Schwaden lichten sich herum,
die Blüte leuchtet grell und pink,
doch als die Krone ich erklomm,
erkenn‘ ich mehr was mich umfing,

ich seh‘ nun eine junge Frau,
erwachsen, ganz für sich allein,
lebendig scheint sie, klug zu sein,
und nackt – in Neugier ich sie schau‘,

auf hoher Klippe sitzt sie da,
ihr Blick gerichtet weit hinaus,
wo Fluss und Wald ihr Antlitz ‚bahr,
entfernt der fernen Stadt zuhaus,

nun träum‘ ich mich in sie hinein,
wär‘ lieber noch sie selbst geheim,
doch säß‘ ich dort, wär’ einsam ich,
ohne sie, die alles hält für sich,

wie seltsam quickt sich ihr Verzicht,
wird meiner Nähe nicht gewahr,
die kühle Luft fährt ihr durchs Haar,
doch meinen Atem spürt sie nicht,

so darf sie mich nicht rühren hören,
nicht einmal das…
Denn jedes Nahen, ein stummer Hass,
der könnte ihren Frieden stören,

und wie sie da ruht, im sanften Wind,
auf Felsenklüften, frei allerlei,
da wünsche ich, sie glücklich sei,
und ihre Sinne sengend sind,

ich begehr‘ sie plötzlich heiß erregt,
und dennoch ohne Furcht befangen,
will sie im Beben, will sie im Banne,
– und doch keine Fessel je ihr legt,

ich ‚zweifel sie mir an die Seite,
mich selbst in ihrem Wesen ganz,
doch wie berühr‘ ich aus Distanz,
ohne dass ihr Bild entgleite?

ihr Leibe zuckt bald, will ich mehr?
Es lockt ihr Duft vom Zuge her,
ihr Odem horch‘ ich, soll doch lauter,
soll Schrei sein unter meiner Folter,

ein Jauchzen kann kein Klagen sein,
Frohlocken möcht ich ihr entlocken,
– und doch ich will ihr Liebe bleiben,
bleib drum entfernt im Baume hocken,

doch wo ist’s nun und wo bin ich?
nicht ich tu’s ihr, beobacht’s mich!
Die tiefe Schlucht – stößt’s mich hinab,
ins finstre, furchtbar Furchengrab.

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Renard Volant Romancier
Renard Volant schafft seine Werke vornehmlich im Genre der aufgeklärten Schauerromantik als Vertreter des Reasonable Gothic. Seine Schriften durchziehen morbide, philosophische, politische, erotische, wissenschaftliche, surreale, historische, religiöse und psychologische Themen, stets getragen vom Geiste eines hedonistisch-moralischen Universalismus. Die Themen seiner Arbeit umfassen Ebenen der Natur, der Gesellschaft und des Individuums, zentriert um die Frage nach der Freiheit, als In- und Jenseits der Notwendigkeit. Der Mord am gesellschaftlichen Gott und am Vaterland interessiert ihn ebenso grundlegend, wie das Ende der auferlegten Arbeit und des erzwungenen Todes selbst, was den Beginn aller wahren Leidenschaften bedeutete. Renard Volant ist ansonsten reine Negation. Er hat keinerlei Vergangenheit, dabei jedwede Zukunft.

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