Melissa seufzt.
Widerwillig greift sie mit den Spitzen ihres Daumens und Zeigefingers nach dem knochig-fleischigen Überbleibsel. Mit verärgertem Blick beschaut sie den losen Ringfinger ihres Partners, herausgepult aus der Sofaritze.
Das Blut dieses in sich gekrümmten Körperteils ist bereits getrocknet, Flecken davon befinden sich ringsherum des Fundortes auf dem weißen Textil.
Immer lässt er alles liegen, denkt sie stumm in ihrem Groll, kann er denn nicht einmal hinter sich aufräumen?
Es ist wahr: Seit Monaten nun wohnen und leben sie schon zusammen. Und auch nach allen Versuchen des Aushandelns und Kommunizierens, Willenserklärungen und Versprechungen – Er kann einfach keine Ordnung halten.
Und nicht nur das: Es wird sogar mit jedem Tage immer schlimmer.
Zunächst, im ersten Monat, war es lediglich das Geschirr am Morgen, Porzellanschüsseln mit Müsliresten, alte Gläser mit angetrocknetem Fruchtfleisch aus dem Frühstückssaft.
Schließlich, im Zweiten, kamen alte Socken hinzu, hie und da verstreut, auch mal ein T-Shirt.
Im dritten Monat begann es dann mit Haaren im Abfluss, sogar das Abspülen nach dem Stuhlgang hat er eines Tages vergessen. Geschweige denn, dass er die Klobürste regelmäßig nutzte.
Und jetzt, im Monat vier – sein Finger in der Sofaritze.
Angenervt schmettert Melissa das unerfreuliche Andenken in den Bioeimer. Sie liebt ihn ja, durchaus, aber diese stetig ansteigende Unaufmerksamkeit in Ordnungsangelegenheiten muss geklärt werden. Wer weiß, wie lange sie sonst noch zusammenleben werden.
Verschlafen noch durch ihren unruhigen Schlaf heute Nacht – Steve muss mittlerweile bereits los zur Arbeit gegangen sein, Melissa selbst hat heute frei – schlurft sie durch die Wohnung.
Oh nein, stöhnt sie in Gedanken auf, als sie in den Flur stapft, nicht auch das noch.
Doch ihre Sinne trügen nicht:
Mitten auf dem alten Billigpersa liegt Steves Milz, wie ein blutiger, schlaffer Klumpen gebettet auf Polyestergewebe.
Das kann wirklich so nicht weitergehen, schwört sich Melissa.
In Gedanken bereits im Krisengespräch mit ihrem Freund und Mitbewohner, tut sie einen vorsichtigen, aber großen Schritt über das herumliegende Organ hinweg.
Das wird er schön selber wegmachen, wenn er zurück ist, denkt die Zurückgelassene grimmig, ich räume bestimmt nicht die ganze Zeit hinter ihm her.
Sowieso muss Melissa sich ersteinmal die Zähne putzen. Sie braucht einfach dieses frische Gefühl im Mund, ehe sie ihren Tag so richtig starten kann.
Allerdings – wie sollte es heute auch anders sein – ist ihr auch diese einfache, alltägliche Freude nicht vergönnt:
Zu ihrem größten Bedauern findet sie Steves linken Fuß im Waschbecken, das noch voll mit rostrotem Wasser gefüllt ist – unter einem regelmäßig vor sich hintropfenden Wasserhahn – und das Stück Liebhaber auf der sanft dahinplätschernden Oberfläche, hebt diese Flüssigkeit wie ein einsames Boot auf einem See empor.
Steve, denkt Melissa nun beinahe traurig, was ist bloß los mit dir in letzter Zeit?
Als sie sich kennenlernten, so meint sie sich zu erinnern, war er noch nicht so rücksichtslos schlampig.
Im Gegenteil: Er achtete tunlichst genau darauf seine Angebetete zu umsorgen und sie nicht zu verärgern. Es war wohl Teil jener magischen Zeit des Kennenlernens, in der man zumindest noch versucht, jemand anderes zu sein als der, den die eigenen schlechten Angewohnheiten sonst definieren.
Doch, dass ihr Freund sich dereinst so dermaßen in ihrer gemeinsamen Wohnung entäußern mag, das wollte Melissa wahrhaftig nicht voraussehen.
Aber ach, was mag es bedeuten, die bösen Überraschungen werden heute wohl nicht abreißen. Denn als Melissa sich der Dusche nähert, um zumindest dort ungestört das frische Wasser für die ersehnte Körperpflege nutzen zu können, findet sie Steves bleich gewordenen, leblosen Kopf, mit weit aufgerissenen Augen in einer Blutlache auf dem Keramikboden der Duschkabine liegen.
Sie ist – wir mögen es ihr gewiss nachfühlen – entsetzt.
So, denkt sie, das reicht! Komm du mir nach hause, werter Lover, dann werd ich dich eigenhändig auseinandernehmen.
Melissas Tag ist ruiniert.


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