Hütte im Sturm

Völlig in mich selbst versunken schaue ich aus dem dunklen Fenster, lausche dem heftig prasselnden Regen, der wie zahllose nervöse Finger gegen das Wellblechdach tippelt, interpretiere dazu das Geräusch des tosenden Sturms, pfeifend und heulend, als ferne, langgezogene Schreie, ein geisterhaftes Kreischen, durchsetzt vom grollenden Donner aufschlagender Körper, hinzu wüstes Hämmern wutentbrannter Seelen gegen die Scheibe vor meinen Augen.

Doch beruhigend stemmt sich der massivhölzerne Bau in die Bresche zwischen der gewaltsam tobenden Welt da draußen und meiner ungeschützt freiliegenden Verletzlichkeit.

Ich erinnere mich an jenen Urlaub, wir beide uns unverhüllt auf dem Sofa rekelnd, weit weg von allem, auf der Spitze eines menschenleeren Berges, umgeben bloß von Natur, Wald und Wiese, die Klippen um uns herum, der See hinter der Fassade unserer einsamen Hütte, eingelassen in den Krater eines längst erloschenen Vulkans, ruhig und klar bei gutem Wetter, in jener einen Nacht dagegen aufgescheucht und in äußerste Bewegung versetzt, wie es sonst lediglich das offene Meer könnte.

Wohl fühlte ich mich zwischen all der Gefahr, inmitten jener furchtbaren Stärke entfesselter Wut, doch ummauert vom soliden Werke fremder Menschen – und deinen zärtlich-zarten Armen im fest umschlingenden Griff.
Lass mich dir noch einmal erzählen, wie es damals war für mich, diese Nacht, die ich nimmermehr vergessen will…

Meine Gedanken ruhen, wohl zum ersten Mal in meinem Leben, denn je heftiger der Chor des Chaotischen zu eskalieren droht, desto mehr scheint mein Geist zu schwimmen, beinahe zu schweben, umgeben vom Wesen, das meinesgleichen hätte sein können. Denn ein Wirrwarr im Tohuwabohu ist wie ein ruhiges Pflänzchen im Sonnenschein bei sanftem Nieseln.

Und so schlafe ich beinahe ein, beginne müde zu werden, nicht aus Erschöpfung und Überforderung, sondern im Frieden mit der Welt. Und ich hätte schlafen mögen, wenn nicht auch du gefallen gefunden hättest im Herabstürzen des Himmels.
Denn – du weißt es gewiss noch – so erhebst du mit einem Male deinen Blick, schaust mir mit großen Augen in die meinen, ein Lächeln beginnt sich dir zu formen, wie der Gedanke wohl in deinem Kopfe.

Ich liebe diesen Ausdruck in dir, weißt du, wenn sich Begeisterung mit Wahnsinn mischt, sich dir das Leben wie ein Zauber zeigt. Deine dunklen Locken, in ihrer Fülle so maßlos, dass sie dein schmales Gesicht in dreifacher Größe überragen, wallen auf deinen zierlichen Körper herab, dessen Haut jeden Muskel überspannt, jede Wölbung und jeden Knochen straff umzogen zur Geltung trägt. Der fröhliche Irrsinn funkelt in deinen gelblich-braunen Augen, dein spitzes Kinn drückt sich auffordernd hervor, zusammen mit deinem kantigen Unterkiefer, der dein schmales Schmunzeln rahmt.

Du willst hinaus, so sagst du es mir, einfach die Türe öffnen, ohne zuvor dich anzukleiden, dich der Welt entgegenwerfen, dabei dem Sturme trotzen und deine Stimme so laut du kannst in den Lärm hineinschleudern, die dabei doch untergehen muss, inmitten der allgemeinen Übermacht gegenüber deiner völligen Verausgabung. Wer wäre ich nun aber bloß – und wer könnte ich überhaupt sein – würde ich mich dir in deiner Liebe zur Ekstase in den Weg stellen?

So lasse ich dich also gehen, lasse dich vortreten, und das nicht, ohne zuvor das Licht im Inneren unserer Hütte zu löschen, um der Augen Möglichkeit zur Sicht im Dunkeln ihr Bestes zu ermöglichen. Und ja, so tust du, wie verkündet: Du trittst hinaus, die Tür zuerst schwungvoll aus ihrem Verschlusse gelöst und gegen die Wand gepeitscht, dem Strömen der Luft in unsere Burg hinein Eingang gewährt. Und dein Haar – es wuchs noch größer heran, wie eine riesige Flamme, züngelnd in alle Richtungen, lebendig wie die Schlangen der Medusa.

Es ist stockfinster vor dir und außerhalb, weder Mond noch Sterne, nicht einmal das künstliche Licht des abseitigen Dorfes dringt zu uns heran – und doch, ich schwöre dir, ich kann die Mamillen auf deiner spitzen Brust erigieren sehen, sogar deine Haut sich in kleinste Hügel kräuseln, als du dich noch einmal kämpferisch-freudig zu mir umwendest und mir deine Liebe zusicherst. Dann ein Schritt, und zwei und drei… In diesem Moment – als du endgültig die Schwelle unseres sicheren Heimes viele weitere Fuß hinter dich lässt – sehe ich dich fliegen, vom Sturme erfasst, den Boden unter deinen Füßen verlieren oder gar von Ästen und Geröll geschlagen.

Glaube mir, mein Herz bleibt stehen – denn ich glaubte das wirklich, für einen kleinen Moment nur, so plötzlich und sprunghaft, wie mein Puls in alle Höhen stieg und in jede Zelle meines Körpers drang. Doch es ist nur meine in Furcht versetzte Fantasie gewesen, die dich verlor, die das Schlimmste bloß simulierend antizipierte, denn du bleibst doch standhaft, stellst dich schräg liegend in den Sturm, öffnest deine Arme, große Schritte in Folge, immer schneller, in die Finsternis hinaus.

Ich höre nur kurz dein kraftvolles, hohes Brüllen, bis es untergeht und genauso im Lärm verschwindet, wie dein Leib in der Dunkelheit verblasst. Ich folge dir also, genauso bar, wie du, spüre die Tropfen, wie mannigfache Nadelstiche auf mich niedergehen, eisiger Wind um mich herum raubt mir den Atem, peitschendes Gras matert mich bis hoch zu den Kniekehlen, während der Himmel ein einziges Grau in Schwarz zeitigt und der Boden dabei beinahe noch schwärzer wirkt.
Ein Blitz, ein Donner – und für einen Augenblick sehe ich deine Silhouette am Wald, die Figur des verführerischsten aller menschlicher Körper, rennend oder tanzend, vielleicht auch doch wieder fliegend.

Erneut die Angst, dieses Mal jedoch vermählt mit Erregung, denn der Anblick deiner Form, dabei die Schläge des Windes an Haut und Schenkel, zusätzliche Schmerzen verursacht durch das in Einheit vereinzelte Wasser, treiben mich an, führen mich in bedrohliches Verlangen zu dir.

Noch heute kehre ich gerne zurück zu dieser Hütte, lasse das Erlebte wiederkehren in meine Seele, die Erinnerungen lebendig werden. Ich werde diese Szene wohl nie vergessen, will es mir auch niemals entgleiten lassen, dein schönstes Bild, dein begehrenswertester Akt…

Als ich dich das letzte Mal sah.

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Renard Volant Romancier
Renard Volant schafft seine Werke vornehmlich im Genre der aufgeklärten Schauerromantik als Vertreter des Reasonable Gothic. Seine Schriften durchziehen morbide, philosophische, politische, erotische, wissenschaftliche, surreale, historische, religiöse und psychologische Themen, stets getragen vom Geiste eines hedonistisch-moralischen Universalismus. Die Themen seiner Arbeit umfassen Ebenen der Natur, der Gesellschaft und des Individuums, zentriert um die Frage nach der Freiheit, als In- und Jenseits der Notwendigkeit. Der Mord am gesellschaftlichen Gott und am Vaterland interessiert ihn ebenso grundlegend, wie das Ende der auferlegten Arbeit und des erzwungenen Todes selbst, was den Beginn aller wahren Leidenschaften bedeutete. Renard Volant ist ansonsten reine Negation. Er hat keinerlei Vergangenheit, dabei jedwede Zukunft.

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