Warum wir nicht manipuliert werden wollen sollten:
„Der Mensch™ wird gerne manipuliert“
So sprach mein Coach irgendwann während der Verkaufsschulung. Zwischen Liebe, Respekt, sicherem Auftreten und Kundenbindung, fielen allerlei solcher Sätze. Doch soll es im Folgenden nicht um den Inhalt des Coaching gehen, nicht um eine Anklage des Trainers, der halt irgendwann zu der Auffassung kam, dass die freie Wirtschaft uns zu authentischen Menschen erziehe, sondern um die Frage, die mir diese behauptete Ontologie stellte.
Interessanterweise war dies bereits die zweite Ontologie, die ich diese Woche vernahm. Ein deutscher Fernsehphilosoph sprach in einem Interview per Stream vom moralischen Universalismus und seiner Erkenntnis, dass der Mensch™ eine Nation brauche, zur Orientierung, zum Gefühl der Zusammengehörigkeit. Und auch hier, wie jedes Mal, wenn jemand vom Menschen™ spricht, erscheint mir eine Frage:
Bin ich denn kein Mensch™?
Nun bin ich bekanntermaßen Weltbürger, Antinationalist, Wurzellos. Doch offensichtlich brauche ich dementgegen Nationen, nicht aus einem intrinsischen Affekt heraus, sondern aus Schutz vor anderen. Doch nein, ich will es nicht. Ich fühle mich beheimatet, wo ich ich selbst sein kann, wo ich nicht bedroht oder gegen die Notwendigkeit eingeschränkt werde. Nationen halte ich für ganz und gar schädlich, insbesondere dort wo diese ihre Schutzfunktion verlören.
Es mag so also sein, dass der Mensch™ Nationen im Durchschnitt braucht, solange er nichts Besseres kennt. Doch dies ist eine deutlich relativiertere Position.
Doch kommen wir zur Eingangsthese: Wird der Mensch™ gerne manipuliert?
Fangen wir mit einer weichen Auslegung der These an. Der Mensch (ohne ™) ist ein soziales Tier. Er wird beeinflusst, wird gebildet von seiner Gesellschaft, sein Ich bildet sich in Anlehnung an Sigmund Freud aus im Gegenspiel zur gesellschaftlichen Repräsentation im Über-Ich auf der einen Seite und seinen Trieben auf der anderen, dem Es. Und durchaus, beide Instanzen sind sicherlich manipulationsanfällig:
Das Ich findet Kompromisse zwischen den Erwartungserwartungen des Über-Ichs im Moralitätsprinzip und den gesellschaftlich geformten Trieben des Es, das befriedigt sein will, im Lustprinzip. Das Realprinzip kann so nur gedacht werden als ein Manipuliertes, zumindest beeinflusstes, geformtes.
Doch Manipulation ist mehr als Formung, Erziehung. Manipulation ist zweckhaft, übergriffig und steht als Täuschung im Gegensatz zur Wahrheit, auch, wo sie vielleicht komplex und abhängig, d.h. relativ ist. Will also der Mensch manipuliert werden?
Wer manipuliert wird, wird in eine Richtung gezogen, die nicht ihm dient, sondern dem Zweck, in dessen Dienste er genommen werden soll. Die Meisterklasse, die ein Verkäufer auf diese Art lernen kann, ist es, die Zwecke des Unternehmens so als die Zwecke des Kunden darzustellen (so, wie zuvor die Zwecke des Verkäufers dem des Unternehmens gleich gemacht wurden. Auch Arbeiter sind manipuliert)
Und dies muss so sein, wie ich zeigen werde, nicht aufgrund menschlicher™ Natur, sondern aufgrund privatwirtschaftlicher Konkurrenz.
Ein Genosse, der dem jugoslawischen Modell des Sozialismus nahesteht, betont gerne, dass Konkurrenz in der Tat effizient ist, Preise reguliert und gute Waren hervorbringt. Es müsse lediglich die Organisation der unabhängigen Betriebe demokratisch und sozialistisch strukturiert sein, der Markt, ist nach liberalen Ideen einzurichten.
Ohne Zweifel wäre dies ein Fortschritt gegenüber bisherigen Verwaltungsmodellen basierend auf bloß privatem Eigentum. Doch nein, ich gehe insofern weiter, als dass ich behaupte, dass auch die Konkurrenz selbst schadet, eben weil sie zur Manipulation führt.
Beispiel A – Unternehmen
Fangen wir nach dem vorhergesagten mit dem offensichtlichsten an: Die Beziehung zwischen Kunde und Marketing.
Man stelle sich im Rahmen eines Himmelsschlosses vor, man käme zu einem Fachberater in einer freien Welt. Dieser sollte sicherlich professionell sein, den Bedarf des Kunden ermitteln und eine gute Lösung für ihn finden. Es mag etwas länger dauern, denn womöglich handelt es nicht um die effizienteste Abwicklung. Doch kann man sich unter diesen Umständen vorstellen, dass der Fachberater versuchen würde den Kunden emotional an sich zu binden? Würde man ihm eine „Story“ bieten wollen, ein Rundumpaket, ein Erlebnis, ihn auf Bedürfnisse aufmerksam machen, die er zuvor nicht hatte?
Würde der Kunde eine Sammlung an Kundenkärtchen im Geldbeutel oder für jeden Laden eine eigene App auf dem Smartphone haben, um Paybackpunkte, Rabatte oder Aktionen sammeln zu können?
Ein Wenig weiter hinausgezoomt kann man fragen, ob es neben – sagen wir – einer Informationsapp, die man freiwillig aufrufen kann um das Angebot zu checken, Werbeclips, Plakate, Pop-Up-Sites und Phishing-Mails geben würde?
Gäbe es kleine Filmchen, die einem ständig den Spaß des Lebens vorhalten, romantische und erotische Reize triggern, kitschige Schönheit auf Leinwand bringen, um letztlich für wenig oder zu viel Geld Bier, Wurst oder Autos anzubieten, statt des realen Erlebnisses des dargestellten Lebensgefühls?
All dies erscheint uns heute als selbstverständlich und nicht wenige sprechen dabei von einer Win-Win-Situation. Ist es nicht gut, wenn sich ein Unternehmen um seine Kunden bemüht und die Kundenzufriedenheit, den Service im Blick hat?
Gewiss. Doch auch hier ist die Frage des Zwecks. Kundenzufriedenheit ist Umsatzsteigerung ist Bedarfsweckung ist Sucht als Bedürfnis, das befriedigt, doch nicht gestillt werden soll.
Auch geplante Obsoleszenz, also das verwenden billiger Verbindungsteile eines ansonsten hochwertigen Produkts, ist Ergebnis desselben Versuchs den Kunden an sich zu binden:
Wenn die Gewährleistung endet, endet die Funktionalität des Produkts und der Kunde kauft erneut. Dies funktioniert auch ohne Absprache, wenn das Marketing gut genug ist und das Gedächtnis des Kunden abgelenkt, oder die Produkte aufgrund der billigen Teile günstig genug sind.
All dies ist Ergebnis der Konkurrenz, der ständige Versuch der Unternehmen Profit zu erwirtschaften, am besten mehr als sein „Mitbewerber“ umzusetzen, um nicht in der nächsten Runde der Akkumulation oder während einer wirtschaftlichen Rezession zu verlieren. Dieser Imperativ gelte auch innerhalb eines Marktsozialismus. Rosa Luxemburg sprach dahingehend nicht umsonst von einer Wirtschaft mit sozialistischer Organisation unter kapitalistischem Tausch.
Beispiel B – Wahlen
Dieser Teil wird schwierig. Ich zeige hier, wie dieser Mechanismus der Manipulation sich auch aus dem parlamentarischen System heraus entwickelt, dem ich selbst prinzipiell freundlich gegenüberstehe. Wie der deutsche Philosoph Jürgen Habermas sagt, solle sich in einer deliberativen Demokratie der zwanglose Zwang des besseren Arguments durchsetzen. Doch längst setzen Parteien in ihrem Wettbewerb – nicht um Ideen, sondern um Macht – auf Marketing. Nicht soll dies bedeuten, dass es keine ehrlichen und integren Politiker gäbe, doch aber, dass diese nicht unbedingt gefördert werden.
Liberale Demokratien setzen nicht mehr allzu stark auf ihre Programme, wollen keine Lösungen präsentieren und durchsetzen, sondern Gefühle wecken. Schlagworte ersetzen Inhalte, Personen sollen Sympathie und Kompetenz ausstrahlen, keine Ideen repräsentieren. Schon bevor ein gutwollender Politiker in seiner Regierungszeit über die Probleme der wirtschaftlichen Basis, des Standortzwanges und der geopolitischen Sicherheitspolitik stolpert, musste er sich und seine Reformwilligkeit in mundgerechte Häppchen teilen, das Spiel der Demagogen übernehmen, Emotionen wecken, Ängste wie Patriotismus nähren.
Der Mensch™ will manipuliert werden. So auch der Wähler. Nicht, weil es dem Wähler guttut, sondern weil alle es tun, ist er es gewohnt. Alles andere langweilt ihn oder erscheint als verkopft, als zu fern.
Auch hier ist die Konkurrenz Garant bloß für Manipulation, nicht für eine Lösung im Sinne des besseren Arguments.
Eine sinnvolle Alternative jedoch, die noch immer demokratisch wäre, ist derzeit noch nicht unbedingt denkbar, da auch direktdemokratische Politik, vielleicht noch mehr als im Parlament, den Effekten des Marketings unterläge.
Beispiel C – Staatengemeinschaft
In diesem Exemplar führt sich weiter, was zuvor dargestellt wurde, verbindet die Probleme in neuer Qualität. Die einzelnen Nationen, die jeder Mensch™ will, stehen in Konkurrenz zueinander. Zunächst in wirtschaftlicher, denn wie Unternehmen kämpfen sie um Profit und Extraprofit, um es ihrem jeweiligen Volk (oder den herrschenden Eliten) zukommen zu lassen oder zu investieren für die nächste Runde. Bündnisse werden nur zu gegenseitigem Nutzen geschlossen, das nationale Interesse überwiegt das Menschenrecht.
Auch die Konkurrenz der Ideologien, der Religionen und Kulturen mischt sich unter diese Weltlage. Und nicht zuletzt führen Sicherheitsdilemmata aus Angst vor dem Präventivschlag Anderer zu globaler Unsicherheit. Das war in Zeiten der bipolaren Weltordnung nicht anders als in Zeiten unserer jetzigen multipolaren Welt.
Die Manipulation hier bricht sich also am tödlichsten Bahn und gewinnt an Fahrt, Fakenews, Gerüchte und klassische Chauvinismen entfalten sich in Massenbewegungen und ergreifen ganze Kulturen. Nicht einzelne manipulieren, keine Juden oder Reptiloide herrschen und teilen, nicht einmal die Kapitalistenklasse manipuliert alleine. Manipulation ist allgemeiner Modus.
Wirtschaftliche Interessen, Nationen, Götter, Rassen und Sprache, alles wird zur Identität, alles steht im Kampf zueinander, verbündet und verfeindet sich, appelliert an unser Gefühl, an Entsetzen, Angst, Empörung, Liebe, Hoffnung, Verzweiflung, Loyalität.
Kein Berg existiert, der nicht nationales Symbol mehr ist, kein Kind wird geboren, das nicht mögliches Opfer „der Anderen“ mehr sein mag und keine romantische Liebe entzieht sich dem identifizierenden Blick einer Gesellschaft, die ihr präferiertes Gesellschaftmodell in Gefahr sieht.
Fazit
Will der Mensch™ manipuliert werden?
In der exemplarischen Analyse dessen, was ist, lässt sich zumindest ableiten, dass er es wird. Der Mensch wird manipuliert, allenthalben. Er kann sich dem nicht entziehen und wo er klug ist, die Mechanismen der Manipulation kennt, erkennt er sie nicht zu jeder Gelegenheit. Doch ist dies mitnichten ein Wollen, ein Brauchen, ein Lieben.
Es ist wie mit allen Essentialismen: Was ist, ist nicht automatisch was sein soll oder will oder gar muss.
Mit Oscar Wilde muss man sagen, dass wir von der Natur des Menschen nur so viel wissen, als dass sie sich stetig ändert. Der Mensch wird manipuliert. Er ist manipuliert. Er manipuliert.
Doch auch, wenn der freie Mensch gewiss nicht frei sein mag von jedweder Regression, nicht aufrichtig in allen seinen Charakterzügen, so sei er doch zumindest kritisch, will er nicht manipuliert werden.
Der freie Mensch will eine Story nur, wenn sie echt ist, wenn es seine Story ist, oder seine Fantasie anregt, ihn berührt, ohne ihn anzufixen. Der freie Mensch will nicht verkauft bekommen, er will beraten werden. Der freie Mensch will kein Framing, kein Zweck sein zum Profite oder zur kollektiven Erhöhung.
Der freie Mensch will nicht manipuliert werden.


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