Ein Fragment.
Ihre wenigen Zähne standen weit auseinander. Es hieß, ihr wurde jeder zweite Zahn gezogen, immer im Wechsel, die übrigen wurden angespitzt.
Und wahrlich: Jeder einzelne von ihnen stach aus dem Fleisch hervor, wie ein Pfahl. Doch trotz dieser brachialen Tortur schien sie ein äußerst gepflegtes Gebiss zu führen – keine Karies, kein Belag.
Allerdings zeugten Zunge und Lippen von allerlei Bisswunden, die sie sich wohl in diesem Zustande immer wieder selbst zufügen mochte. Einst musste sie sehr volle Lippen gehabt haben, man konnte sie noch immer erahnen zwischen all den Narben und frischen, wie halb verheilten Wunden.
Am auffälligsten aber waren wohl ihre Augen – oder vielmehr das, was man dort normalerweise hätte erwarten dürfen:
Statt menschlicher Augäpfel, eingelassen zwischen Lidern, sah man große, schwarze Hosenknöpfe, eingenäht in ihre gleichsam verschlossenen Hautlappen.
Und doch, auch hier ein Segen in ihrer offenkundigen Schande:
Es folgten augenscheinlich wohl keine Entzündungen oder weitere Entstellung dieser Zurichtung an ihrem Antlitz. Sie wurde also zuerst entstellt, gewiss, anschließend aber womöglich mit medizinischer Nachsorge vergütet.
Ein niederträchtiger Lohn.
Desweiteren war diese junge Frau außerordentlich blass, als sei ihr – wenn überhaupt – nicht viel Sonnenlicht vergönnt gewesen. Kontrastiert wurde ihr eierschalenweißer Teint durch das dunkle, lockige Haar, das beinahe aschschwarz und matt, doch wohl gepflegt und eng definiert, aus ihrem Kopfe spross.
Die Gleichzeitigkeit jedweder Schändung mit spezifischen Akten der Zuwendung zeichnete so das gesamte Bild jener Dame, die so vieles hat ertragen müssen, ohne je mehr ein Wort hierüber zu verlieren.
Zuletzt seien schließlich noch ihre Kleider betont. Als hätte man sich geweigert einem kleinen Mädchen einst beim Überschreiten der Schwelle zum Erwachsenenalter eine neue Garderobe zukommen zu lassen, trug diese Frau ein viel zu kleines und eng gewordenes Tanktop, ledig eines Büstenhalters darunter. Und in jener erniedrigenden Form, durch seine überbeanspruchte Dehnung beinahe durchsichtig verzogen, bedeckte dieses einzig ihre offensichtlichste Entblößung oberhalb des Bauchnabels.
Ihre unverkennbar gute Ernährung bei ausreichender Bewegung ließ alsdann ihr zartes Gewebe in tadelloser Rundung emportreten, überall dort, wo das dunkle Textil nicht mehr ausreichte, dieses zu verstecken.
Zumindest, so musste angenommen werden, wurde sie also im Alltag ihrer devianten Versklavung nicht schlechter gehalten, als eine Kuh.
Gewiss ein geringer Trost.
Und auch ihre bloß stringgewordene, ausgeleierte Unterhose – beinahe nur noch aus Fetzen bestehend, getragen von seidenen Fäden – und ihr viel zu kurzer Rock, seitlich aufgerissen – auch dieser letztlich nur mit Bändern und Sicherheitsnadeln notdürftig zusammengehalten – gab ihr ein beinahe ruchloses Aussehen.
Ansonsten lief sie barfuß umher (ob freiwillig oder aus Ermangelung von altersgerechter Beschuhung, ist uns bis heute nicht bekannt).
Das groteskeste an ihr jedoch – wenn auch in gewisser Weise wohltuend, als Ausdruck ihrer nahezu grausamen Anmut – war ihre Reaktion auf jene Frage, die auf der Hand lag:
Wer ihr dieses antat.
Denn tatsächlich lachte sie bloß, hinzu eine beiläufige Geste, wie das Wegwinken einer alten Lappalie, die längst keine müde Erzählung mehr wert sei.
„Das ist irrelevant“, sagte sie mit kluger Beschwingtheit, als sei ihr nie etwas grenzenlos Furchterregendes geschehen, „gerade einmal so interessant, wie diese Person selbst eine Erinnerung würdig wäre.
Wichtig ist nur dies: Sie ist niemand, soviel kann ich versichern.“
Ein unschuldiges Lächeln umspielte ihren rissigen Mund mit den weißen Spießen hinter ihren verkrusteten Lippen.
„Es hat sie nie gegeben.“


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