Vor wenigen Jahren, in einer ansonsten allzu ordinär wirkenden Nacht, erschien uns ein schattenhafter Dämon – konturlos, vielgestaltig – dessen einziger Wille darin zu bestehen schien, zu töten.
Auf furchtbarste Art und Weise, die das schiere Auseinanderreißen des Leibes seiner Opfer bedeutete, beging er sein Werk – und tut dies bis heute. Wie aus dem Nichts heraus, angekündigt nur durch dumpfes Rauschen zwischen beiden Ohren, erscheint er dann in Annäherung und Verdichtung seiner Gestalt, ehe er sich seiner Beute mit einem scharfen Ruck entledigt.
Diese Erfahrung des Sterbens, so berichteten uns Fremde, die uns in selber Zeit wie jener grausige Tod erschienen, war allerdings nicht endgültig. So erfuhren wir, dass man hiernach wiederkehrte, reinkarniert in einem neuen Körper, erwachsen und individuell.
Einzig – man erwachte in einer gänzlich unbekannten Welt, so seltsam und mannigfaltig, wie die ursprüngliche. Diese Fremden, die uns dies Zeugnis überbrachten, stammten wohl einst selbst aus eben solchen – und starben durch Geisterhand.
Und heute, da wir einiges an Erlebnissen mit der düsteren Bestie sammeln konnten, wissen wir, dass es dabei auch in unserer Welt wahrlich jede treffen kann. Besonders gerne jedoch, holt sie sich solcherlei, die entweder besonders starke Furcht vor dieser verspüren oder umgekehrt, sich ihrer Verschonung zunächst allzu sicher sind.
Ebenso – als sei dieses nicht genug – bevorzugt sie noch jene, die besonders viel zu verlieren haben, wie Enthusiasten nach einem unerwarteten Glücksfall oder gar frisch Verliebte, voller Freude und Zuneigung füreinander.
Wer sie also nicht fürchtet, wird wohl belehrt, wer es dagegen mit ganzer Seele tut, wird hierin bestätigt und auch wer vollen Herzens zu hoffen wagt, wird mit Todeseifer enttäuscht werden.
Manch ein Mensch mochte dieses Erscheinen zunächst noch irgend positiv zu deuten versuchen, als sei das Todesurteil für Verbrechen der Hybris gerecht, wenn es die sich unantastbar Wähnenden und Naiven träfe. Oder dagegen – als sei die Züchtigung der Ängstlichen und Mutlosen ein allzu moralischer Akt, vollstreckt vom Schatten eines Henkers, der ihnen einen kostbaren Neubeginn beschert.
Doch nein, dieser Dämon, der des Nachts, wie zur Sonne erscheint – ich muss es betonen – ist keine Metapher, keine Lehrmeisterfigur, nein. Er ist das Augenscheinlichste, eine bösartige Präsenz, die sich vom Leid und der Verzweiflung der Menschen nährt. Er verdient keinen Respekt – ich bitte euch – keine Interpretation als kharmische Instanz.
Dies Unheil ist schlichtweg ein Verderbnis, ein parasitäres Wirken, das in den schwärzesten Ecken der menschlichen Existenz wühlt, ohne jegliches Ziel – außer die Zerstörung, dessen, was uns Glück verhieße.
Insbesondere seine Lust, jene zu verfolgen, die gerade erst Hoffnung geschöpft oder tiefste Verbundenheit erlangt haben, ist bestenfalls bloße Schadenfreude – brutal und furchterregend.
Er ist also mitnichten Richter, der Hochmut oder Erniedrigung ahndet, sondern ein durch und durch sadistisches Wesen, das die tollste Wonne darin zu finden scheint, zu zerschmettern, was zart und zerbrechlich war.
Die sonst so unzugänglichen Welten, in die er seine Opfer stößt, sind also keine Chance auf Erneuerung, sondern ein weiteres Gefängnis, eine Fortsetzung des endlosen Albtraums, aus dem es kein Entrinnen gibt.
Er jagt hierbei so nicht nur den Körper, sondern mehr noch die Seele, raubt jedem Moment des Friedens seine Bedeutung, indem er die ewige Bedrohung der Zerstückelung und der spektakulären Folter in unsere Herzen pflanzt.
Ich sage es ein letztes Mal – dieser Alb ist keine Allegorie, er ist Schande, er ist Schmach.
Es gibt gewiss keinen tieferen Sinn in seiner Wirklichkeit, keine Weisheit, die man aus seinen Taten ziehen könnte, außer der kalten, harten Erkenntnis, dass er existiert.
Doch ich verlaufe mich in meiner Klage. So will ich doch auch Hilfestellung leisten:
Denn wenn man ihm begegnet, nun, so ist das Einzige, was einem bleibt, der Kampf ums Überleben, die blanke Notwendigkeit, dem Schrecken seiner grotesken Samsara zu entkommen.
Dieser einzige Weg, ihm entgegenzutreten, liegt gerade in der gnadenlosen Einsicht seiner bösartigen Natur – ohne den Trost, dass etwas Gutes aus seiner Zerstörung hervorgehen könnte.
Und ja, so konnte sich zeigen, im bloßen Versteckspiel liegt die Kunst des Lebens mit dem Schatten. Auch wenn also die Psyche, im ambivalenten Dilemma zwischen Stolz und Zweifel gefangen, keinen Schutz zu gewähren weiß, so tun es doch manifeste Unterschlüpfe.
Auf diese Weise wandelte sich ja erst unsere Welt binnen weniger Monate in das Labyrinth aus Kisten, Nischen und schnell zugänglichen Bunkern kleinster Ausmaße, das wir nun kennen und schätzen.
Denn ist es wahr, dass der Schrecken sich willkürlich und regellos an jedem beliebigen Orte manifestieren mag, doch scheint es, kann er nicht durch Wände sehen. So sind demnach Architektur, Schnelligkeit, stetige Aufmerksamkeit und wohl gehegtes Glück eine Strategie, die wirkt.
Lasst euch aber nicht beirren von den Predigern, die beratschlagen, dass man der Bestie keinen Grund zur Auswahl seiner selbst bieten solle.
Bedenkt: Welch entsetzliche Herausforderung wäre uns die Forderung, sich in einem Stadium steter Schattenfurcht zu üben, ohne dabei gänzlich zu verzagen oder gar zu brechen?
Wie gering währte uns das Glück, wenn es uns noch vergänglicher schiene als noch vor Jahren, nicht einmal erst greifbar, da es ja allzu bald wieder schwinden mag, ehe es unsere Seele rührt und befriedigen mag?
Und nein, nicht einmal solche, die bereits aus ferner Heimat zu uns stießen, das Grauen somit schon hinter sich ließen, werden noch verschont. Allzu oft konnten wir es schon beobachten:
Wer einmal vom Dämon berührt worden war, mag aus dem Trauma des Zerrissenwerdens eine solche Heftigkeit an Bestürzung verspüren, dass es nur eine Frage der Zeit sein MUSS, dass diese Gescholtenen ein weiteres Mal in dessen unsichtbare Fänge geraten.
Wer weiß letztlich schon, wie oft man solch ein Schicksal durchleiden mag, ehe die Gnade eines echten Todes die so Gepeinigten schließlich ereilt?
Ich hörte von einem nervösen Stotterer und kalten Schwitzer, der bereits elf Welten durchstreifte, ehe er erneut vom körperlosen Monstrum emporgehoben und gemartert wurde. Wo mag ihm als nächstes sein Schicksal ereilen? Vermeiden wir lieber zu sehr von seiner Tragik mitgerissen zu sein.
Darum also, flieht dem Entsetzen, sucht nicht in euch selbst die Ursache, sondern taucht ab und haltet euch bedeckt.
Denn dort, im Dunkel engster Kammern, findet ihr das Glück und findet ihr einander – ohne Gram und Furcht.


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