Ultraimperialismus

Die Wiederaufnahme eines vergessenen Begriffs in modifizierter Weise:

Die frühe SPD hat unter Karl Kautsky die These des Ultraimperialismus aufgestellt, die theoretisch jedoch kaum ausgearbeitet wurde. Grob gesprochen wurde damit verbunden die Hoffnung auf eine internationale Friedensordnung innerhalb der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, im Grunde damit die marxistische Variante eines kantschen Völkerbundes.

Antizipiert wurde hier eine Überwindung des Imperialismus, als kriegerische Phase des Kolonialismus und der bürgerlichen Expansion monopolkapitalistischer Staaten, auf höherer Stufe, nämlich des Ultraimperialismus, der sich durch eine Trustisierung (oder Kartellisierung) auszeichnet und dessen Form eine enge Partnerschaft unter den herrschenden Imperien, in Form von Bündnissen, Schiedsgerichten und Freihandelsankommen darstellt.

Diese Entwicklung wurde ganz im Sinne des Revisionismus der damaligen Sozialdemokratie affirmativ beschrieben, als eine Möglichkeit, die kriegerischen Tendenzen jener Zeit alsbald beendet zu wissen. Nicht zuletzt durch Lenin wurde diese These daher als opportunistisch abgelehnt.

Ich möchte diese These nun wieder aufgreifen, und modifiziert als Kritik, zunächst nur als Skizze, derzeitiger Weltorganisation in Zeiten einer multipolaren Ordnung, die die bipolare Ordnung ablöste, weiterentwickeln. Entgegen der dogmatischen Marxisten-Leninisten jedweder Prägung, kann konstatiert werden, dass die Phase des offenen Imperialismus tatsächlich weitestgehend überwunden ist, ohne dass der (Welt-)Sozialismus diese abgelöst hätte.

Angemerkt sei hier jedoch, dass die Möglichkeit eines Rückfalls, wie in jeder Epoche bürgerlicher Verhältnisse, stets gegeben ist. So können einige beliebige Beispiele genannt werden, in denen hegemoniale Machtblöcke (Russland, EU, USA, China, etc.) in diverse offene Konflikte übergingen, wie jüngst der russische Angriffskrieg auf die Ukraine.

Doch die globalisierte Weltgemeinschaft, dessen Ausgangspunkt nach der realistischen Schule der internationalen Beziehungen der Zustand der „internationalen Anarchie“ darstellt, die ohne höhere Instanz Konflikte gerade dadurch wahrscheinlich macht, dass eine allgemeine Unsicherheit entsteht, hat sich in Form der vereinten Nationen, diverser Militär- und Verteidigungsbündnisse und einem Flickenteppich an bi- und multilateralen Abkommen so voneinander Abhängig gemacht, dass eine labile Friedensordnung zwischen den Konkurrenzmächten entstehen konnte.

Von Linksintellektuellen, wie Habermas, bis zu Rechtskonservativen, wie die Vertreter des genannten Realismus, scheint gerade dieser Zustand, den ich tatsächlich als Ultraimperialismus charakterisieren will, die letzte Hoffnung auf ewigen Frieden zu sein. Doch die Art und Weise, wie diese Verrechtlichung vonstattengeht und welche Folgen diese zeitigt, verdient durchaus Kritik, die ich in den folgenden Punkten, zumindest in ihren Effekten, zusammenzufassen versuche:

1. Die Verrechtlichung, gerade des Freihandels zwischen den Staaten und die Implementierung von unabhängigen Schiedsgerichten, ist in ihrer Intention bindend. D.h., dass eine Regelung, die eine Regierung eines Landes mit einer anderen Regierung vereinbart, nicht gebrochen werden kann (zumindest nicht sanktionslos), auch, wenn eine neu gewählte Regierung diese ablehnt. Demokratie, die zurzeit, wenn, dann nur auf nationaler Ebene wirklich eingerichtet ist, wird somit durch internationales Recht beschnitten, das selbst nicht unter einheitlich demokratischen Bedingungen zustande kam. Soziale Politik, wie Enteignungen, Vergesellschaftung oder Protektionismen, können nicht mehr ohne erhebliche Kosten durchgeführt werden und können bis zu internationalen Blockaden und Putschversuchen führen.

2. Internationale Konzerne, Kartelle oder Monopole werden unerreichbar, da sie keinen festen Sitz innerhalb einer demokratischen Gesellschaft haben, die unmittelbaren Zugriff auf diese Marktteilnehmer haben. Diese können zur Not, wenn auf nationaler Ebene Politiken beschlossen werden, die ihnen schadet, ob real oder erahnt, ihre Investitionen in diesem Land zurückziehen und ausweichen auf andere Länder und ggf. die Schiedsgerichte bemühen, ihre Interessen durchzusetzen oder Schadensersatz zu fordern. Nicht zuletzt eine Durchlöcherung und Fragmentierung der Weltordnung unter Entstehung von Steuerinseln und rechtsfreien Räumen ist die Folge. Diese wirtschaftlichen Akteure liegen somit letztlich außer Kontrolle der Demokratie und haben den Zustand der imperialistischen Staatsmonopole zu ihren Gunsten überwunden. 

3. Durch die Abkommen, insbesondere die des Freihandels, profitieren vor Allem die Staaten, die bereits hegemonial und fortgeschritten industrialisiert sind. Eben diese Staaten haben ihre Industrie in der Vergangenheit aber unter anderem durch Ausbeutung der Peripherie und eben jenen Protektionismus aufgebaut, den sie nun vertragsbedingt bei anderen, ärmeren Staaten verhindern, die in Anbetracht billiger Waren aus dem Weltmarkt keine oder wenig eigene Produktion zustande bringen können. Gerade hierdurch können die ehemaligen Imperien und Kolonialmächte ihre Hegemonie aufrechterhalten.

4. Rechtssubjekte jener Ordnung sind alle nationalen Souveränitäten, d.h. auch solche, die in ihrer Struktur illiberal, autokratisch, undemokratisch sind und selbst keine rechtsstaatlichen Institutionen hervorgebracht haben. Dadurch werden auch solche Gesellschaften in die Friedensordnung integriert und stabilisiert, die aus einer Perspektive der Befreiung nicht erhaltenswert sind, im Gegenteil, aktiv bekämpft gehören. Der nationale Liberalismus untergräbt sich somit auf internationaler Ebene selbst.

5. Die aufrechterhaltene Ungleichheit zwischen den Nationen, die ihrerseits weiterhin auf die eine oder andere Art und Weise durch die Klassengesellschaft gespalten ist, bringt Konflikte trotz der vordergründigen Friedenstendenz der verrechtlichen Friedensordnung stetig neu hervor und wird konserviert. Diese materielle Dimension des irrationalen Nationalismus, lässt diesen zuweilen als rational erscheinen und birgt zuletzt immer das immanente Risiko des Rückfalls in imperiale Bestrebungen und Kriege, insbesondere in den Grenzregionen und der Peripherie, sowie durch revisionistische Mächte, wenngleich dieser Rückfall prinzipiell überall und in jeder Nation möglich ist und sich die Friedenstendenz in der Krise gar gänzlich aufheben kann.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die gegenwärtige Phase der Weltorganisation, charakterisiert als Ultraimperialismus, so wie ich ihn skizziere, keineswegs erstrebenswert ist, den Frieden nicht nur nicht sichert, sondern aktiv untergräbt und den Konflikt und Krieg im besten Falle bloß zeitlich nach hinten verlagert, diese somit der unbedingten Kritik bedarf.

Sie ist keine Perspektive, wie zunächst angenommen, um eine pazifizierte Weltgemeinschaft hervorzubringen, weit weniger noch, wie es die frühe revisionistische SPD erträumte, zum Sozialismus führt.

Diese Perspektive kann einzig eine geeinte Welt, eine demokratische und sozialistische Weltrepublik vollbringen, die an anderer Stelle zu charakterisieren ist und dessen Bedingungen noch nicht erkennbar sind. 

Eine solche Perspektive muss nach heutigem Stand der Geschichte somit in der Luft schweben, da eine Bewegung hin zu dieser Form der Organisation empirisch nicht haltbar ist. Das, was nach dem Ultraimperialismus folgt, ist somit notwendigerweise dem Rückfall näher, als dem Fortschritt, jedoch gleichermaßen durch die Methoden der verrechtlichen Staatengemeinschaft nicht zu überwinden.

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Mark Erschüttert Autodidakt
Mark Erschüttert ist gelernter Kaufmann für Büromanagement, mehr wohl aber liebevoller Glücksritter und impulsiver Geist. Als Stiefpapa und Studienabbrecher lebt er im Grenzgängertum zwischen kritischem Utopismus und profanem Realismus. Zudem: Dialektiker. Humanist. Unitarier – mit einer metaphysischen Hoffnung auf das Beste: Die negativ deologische Yeshu’a im Blick. Musikalisch ist er interessiert am Goth – insbesondere am Postpunk und Dark Wave – ohne jedoch vom esoterischen Überschuss irgendeiner sogenannten „schwarzen Szene“ betroffen zu sein. In der Malerei genießt er den Surrealismus, das Unverständige dabei mehr, als das Kitschige, zum Klischee Geronnene. Doch duldet er kein Stillstehen, gibt sich bei Allem auch die Freiheit sich zu entwickeln und am Morgen das Gegenteil zu genießen – ob Jazz oder Pop Art. Seine weitestgehend autodidaktische Bildung, sowohl im Privaten, wie auch in politischen Organisationen, ist nahezu frei von institutionellem Kapital. Es bleibt ihm eine beschädigte Seele, die jedoch das Denken, wie das Fühlen liebt. Er ist zwar gerne für sich, schätzt doch sonders die Verbundenheit und das Leben, liebt dabei zuvorderst auch all jene Menschen, die ihn prägten und noch immer prägen.

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