Oder: Was ist Prostitution?
Anhängend an unsere Texte „Was ist Arbeit?“ und „Was ist Geschlecht?“ erscheint es uns nun mehr als passend, einen kleinen Essay darüber zu verfassen, was geschieht, wenn sich Patriarchat und Kapitalismus am effektivsten verbinden. Die Wertkritikerin und Feministin Roswitha Scholz prägte für diesen Gesellschaftstypus den Begriff des warenproduzierenden Patriarchats, den wir an dieser Stelle übernehmen und im Folgenden exemplarisch darstellen. Unsere vorangestellten Texte nutzen wir hierfür als Grundlage, weshalb eine vorangehende Lektüre nützlich sein kann, da wir ihre Begriffsklärung an dieser Stelle bereits voraussetzen.
Sex als Arbeit – direkte Prostitution
Zunächst einmal stellen wir folgendes klar:
Offener Menschenhandel, Erpressung und (sexuelle) Sklaverei sollen hier nicht weiter thematisiert werden, da zumindest die verbale Ablehnung solcher Praxis zumindest in der „freien“ Welt Common Sense ist. Vielmehr soll es um die spezifisch wertförmige Variante der Prostitution gehen, die sich selbst als frei und freiwillig darzustellen versucht.
Wie bereits festgestellt liegt in der Arbeit gegen Geld – kapitalistischer Prägung – eine Herrschaft der abstrakten Arbeit gegenüber der konkreten Arbeit vor: Es kommt nicht notwendigerweise darauf an, dass bestimmte Tätigkeiten ein nützliches Ziel verfolgen (vielmehr zumindest eine zahlungskräftige Nachfrage, deren Ursprung auch im System selbst liegen kann – oder einer Krise dessen).
Sondern dagegen ist ausschlaggebend, dass jede Verfügbare Arbeitskraft in möglichst maximaler Quantität verausgabt wird, um zusätzlichen Wert, (sprich: Reichtum, Geld, Technik) zu generieren. Hierbei findet der Inhalt dieser Arbeit seine Schranke nicht in seiner Nützlichkeit, sondern im Gesetz und der Natur. Doch dieses Erste steht nur auf wackeligen Beinen, wenn es sich auf Ethik und Sittlichkeit berufen will: Wenn die Wirtschaft bröckelt, d.h. die Wertproduktion zum erliegen kommt, werden solcherlei Schranken allzu schnell wieder niedergerissen, um den Prozess der Wertverwertung zu gewährleisten. Ein Abbau der Arbeit aufgrund gesellschaftlich erlangten Reichtums, ist nicht vorgesehen, aus systemischen, sachzwangsläufigen Gründen.
Aus der Sicht des Kapitals also ist Moral nicht notwendig, vielmehr ein Hindernis zur eigenen Entfaltung, die ihrerseits Grundlage jeder Staatlichkeit kapitalistisch-bürgerlicher Rechtskörperschaften bildet.
Hiernach ist also die Sexarbeit eine bloße Branche, ein weiterer Zweig der Volkswirtschaft, die unmittelbar und im hohen Maße marktabhängig ist.
Als solche unterliegen die Produzentinnen jener „Dienstleistung“ dem Konkurrenzdruck, der Preisschwankungen, dem Akkord und der Professionalisierung. Während sogenannte Gewerkschaften der Sexarbeiterinnen (in denen auch Selbstständige und sogar Führungskräfte in nicht minderer Zahl organisiert sind) betonen, dass die mangelnde gesetzliche Rahmung und das gesellschaftliche Stigma die größte Gefahr der Prostituierten darstellt, so zeigt sich in der grundsätzlichen Analyse der Wirtschaftsweise, dass der Staat, als funktionale Institution, stets nur das Minimum an Sicherheiten garantieren will und kann, um die Akkumulation des Reichtums nicht abzuschnüren. So bleiben Phänomene der Edelprostitution und selbstständigen Dominastudios Nischenangebote, die dem Groß des kommerziellen Straßenstrichs in Minderzahl gegenübersteht.
Doch Recht haben die Fürsprecher jenes Framing der Prostitution zur Sexarbeit, dass diese ganz normale Arbeit sei, wie jede andere auch: Sie ist Schufterei, sie ist Abhängigkeit von Markt, Kunde und Chef, sie ist eine Zumutung für das Individuum. Auch die Sexarbeiterin ist doppelt frei im marxschen Sinne: frei ihren Beruf zu wählen – und frei von den Möglichkeiten sich ohne Arbeit selbst zu ernähren und zu entfalten.
Fraglich ist nun, ob gerade die intime Seite des Menschen – der Sex – wo sie am verletzlichsten und leidenschaftlichsten sich zeigt, zur maschinellen Produktion taugt. Vielleicht – und so erachten wir es – handelt es sich in der Sexualität ja aber um gerade jene Sphäre, die doch bitte NICHT, wie jede andere Arbeit auch, getaktet, vereinheitlicht und in stetem, einseitigen Blick auf Kundenzufriedenheit hin ausgeführt werden sollte.
Doch der erste Punkt der genannten doppelten Freiheit, die freie Wahl der Einkommenssuchende zum Arbeitgeber, ist es, die die Anhänger der Prostitution zu ihrer Behauptung hinreißt, dass diese Variante der Ausbeutung doch freiwillig ist, ja sogar befreiend und zur finanziellen Autonomie führen kann.
Das Gegenteil ist aber der Fall: Denn es ist jener zweite Punkt, die Notwendigkeit des Erwerbs überhaupt, die die Sklaverei aufrecht erhält: Armut, familiäre Verantwortung für die Leben anderer, Schulden, mangelnde Bildung/Qualifikation oder hoher Konkurrenzdruck in den anderen Bereichen der Arbeitsmärkte, sowie direkte emotionale oder Körperliche Manipulation (auch Beschaffungsdruck bei Suchtproblematiken), können zu jenem Ausweg treiben, den wir aus Überzeugung noch immer Prostitution zu nennen pflegen.
Und nicht zuletzt: Auch dort, wo ohne Not und aus rationalen Erwägungen heraus die Entscheidung getroffen wird, gegen Geld in den Berufszweig der sexuellen Befriedigung zu wechseln oder dort einzusteigen, besteht stets die erhöhte Gefahr des Missbrauchs, der professionellen Pflichterfüllung bei übergangener Selbstwahrnehmung.
Wie oft geht denn nicht bereits die gewöhnliche Arbeiterin zu ihrem Job, obwohl sie doch lieber zuhause bliebe, vielleicht sogar krank ist und ihr Wohlbefinden ignoriert, einfach, um nicht ihre Kolleginnen ausbaden lassen zu müssen, dass die Kundschaft Schlange steht? Intimität und Arbeitsethos aber, führt allzu oft, mehr noch als Zweiteres ohnehin bereits, zu Burnout, misslungenen Coping-Strategien und handfesten Traumata.
Sexarbeit ist also Arbeit. Und gerade deshalb aber ist sie Prostitution und gehört überwunden. Wenngleich jeder Prostituierten aller Respekt und jede Augenhöhe gebührt. Ihren Kunden und Chefinnen und Chefs jedoch, jeder Spott und Hohn.
Pornografie und Kulturindustrie – indirekte Prostitution
In der Pornografie nun ändert sich das Verhältnis in konkreter Weise. Aus diesem Grunde ist es notwendig einige zusätzliche Unterscheidungen zu treffen – in Form, Produktion und Wirkung.
Die Formen der Pornografie
Pornografie ist per se kein Problem. Im Gegenteil: Als Ausdruck sexueller Begierden, Wünsche und Fantasien, stellen diese eine enorme Kraft dar, die Kultur und Entwicklung des Menschen prägen und sogar fördern kann. Sogar Tabus können erforscht werden, allgemein schädliche Triebregungen in sublimierter Form ausgelebt und ausgedrückt werden. Diese Seite der Pornografie sollte in ihrer Heiligkeit für den Menschen nicht unterschätzt werden.
Dieses jedoch, trat in den letzten Jahrzehnten in Allgegenwart der wertförmigen Arbeit vermehrt in den Hintergrund, da sich Fiktion und Realität auf Basis der Entlohnung im Filmverkauf – und schließlich durch Werbeeinnahmen oder Abo im Clip – zu vermischen mochte. Und wenn nun nicht mehr Schrift, Malerei oder Bildhauerei, als erste Form der Pornografie, die Sublimation mehr bieten mag, sondern Darstellerinnen und Darsteller dieses vollführen, so haben wir die zweite Form erreicht: Die der der kommerziellen Pornografie:
Sexarbeit als visuelle Prostitution.
Die dritte Form nun ist gänzlich neu: KI-Pornografie in Möglichkeiten der Sexbotchats, der promptgenerierten Bildern und Videos, alsbald sicherlich auch ganze Filmchen: Sie alle stellen neue Fragen der Möglichkeiten und Grenzen. Dazu kommen wir in den nächsten Punkten.
Die Produktion der Pornografie
Während die erste von uns genannte Form in ihrer Produktion gänzlich unproblematisch scheint, so finden wir in ihrer zweiten Variante ein erhebliches Ausbeutungspotential.
Insbesondere die weiblichen Darstellerinnen (aber sicherlich auch die in der Produktion mehr hofierten männlichen „Schauspieler“), müssen tatsächlich durchleben, was wir sehen: Penetration, Rubbeln, Dehnen, Körpersaftaus- und Zufluss, Erniedrigung und Schmutz unter Bedingungen der Filmproduktion. Wenngleich sicherlich hier und da getrickst wird, nicht jede Flüssigkeit echt ist und insbesondere die Wonne dem Schauspiel unterliegt, so divergiert die Authentizität doch stark und am meisten die besonders realistischen Aufnahmen sind von hohem Wert.
Und immerhin unterliegen auch diese dem Druck des Marktes: Verkaufszahlen (oder Klicks), erhöhte Arbeitsteilung und Zergliederung, lange Produktionstage, dubiose Arbeit- und Auftraggeber, betriebswirtschaftlicher Rationalisierungsdruck, Lohnkonkurrenz, etc.
Auch hier führt der Verweis zu alternativen, sog. feministischen Pornos nicht allzu weit. Denn diese bleiben gewiss abhängig von der profeministischen Nische, von ihrer Nachfrage, bleiben somit stets in der Unterzahl – und selbst, wenn die gezeigten Bilder voller Harmonie und Blümchensex strotzen sollten (tun sie selbstverständlich nicht), so bleibt doch immer auch die Frage nach den innerbetrieblichen Verhältnissen, die schon den grünen Kapitalismus so wohlfeil untertreiben, die womöglich gleichberechtigter sein mögen im Vergleich zum Hinterhofporno, doch noch immer profitorientiert bleiben (müssen).
Zuletzt, wie versprochen, der KI-Porno. Hier haben wir eine ungeahnte Möglichkeit: Allzu bald mag es möglich sein, Filme nach eigenem Ermessen zu schaffen, ganz ohne Zutun von Darstellerinnen und Arbeitsverhältnissen.
Trotz aller Kritik, die gewiss folgen muss, schafften sie es womöglich noch auf der Basis des Kapitals selbst die klassische Produktion abzuschaffen oder zumindest zu minimieren. Das ist zunächst ein deutlicher Vorteil.
Die Probleme sind dagegen jedoch mannigfach: Die Modelle beruhen auf echten Produktionen. Das ist erst einmal nicht sonderlich schlimm, wenn man bedenkt, dass jeder Fortschritt auf den Leichen vergangener Verbrechen erbaut ist, doch noch immer kann es geschehen, dass Gesichter, Personen und reale Misshandlungen erkennbar bleiben.
Auch ganz bewusst: Selbst gänzlich branchenferne Frauen können eingepflegt werden als Darstellerinnen zweiter Ordnung. Sie müssen sich nicht Anfassen lassen. Doch sie werden gezeigt. Was das mit der Gesellschaft macht, kann kaum abgesehen werden. Doch so kommen wir zu den Wirkungen der Pornografie.
Die Wirkung der Pornografie
Was nun die drei Formen (rein fiktional / personell-darstellerisch / KI-generiert) verbindet, ist, dass sie Bilder erzeugen, Vorstellungen und Ideen, die auf Individuen und Kultur wirken. Während wir auf der einen Seite also ihre Fähigkeit loben auch ohnehin vorhandene dunkle, womöglich gefährliche Triebe in sublimierter Weise zum Ausdruck zu bringen und auszuleben, so können diese Ausdrucksformen auch neue Begehrlichkeiten wecken – oder zumindest kultivieren.
Diese Kritik ist berechtigt, doch ein zweischneidiges Schwert: Auf der einen Seite sehen wir, dass die aufkommenden Bilder in der Tat roher, gewalttätiger (insbesondere gegen Frauen) und in dieser Variante präsenter in den sexuellen Biografien der Menschen auftritt. So kann alleine der Konsum dieser fiktionalen Geschichten dazu führen, dass gewöhnliche, konsensuale Praktiken an Reiz verlieren.
Nicht zuletzt die erwähnte potentielle Vereinnahmung des pornografischen Kosmos durch die KI, könnte schließlich dazu führen, dass, mehr noch als ohnehin, jeder Mensch im Allgemeinen und jede Frau im Besonderen in den Strudel der Bilder geraten, der alles und jede integriert und bloßzustellen vermag, virtuell zu erniedrigen und sexuell zu foltern.
Selbst Kinder können wieder vermehrt betroffen sein, wenn sich die Technik derart zu verallgemeinern droht.
Diese Gefahren nun bestehen tatsächlich, trotz ihrer zugleich innewohnenden Möglichkeiten der durchaus gefahrlosen Grenzüberschreitung.
Doch die Zensur gegen die Kultur der freien Pornografie ist nicht grundlos als konservativ und repressiv verschrien:
Die Gedanken, Gefühle und Begehren sind frei, müssen es auch sein, solange sie sich nicht in die Tat übersetzen. Dies letzte gehörte wahrlich verfolgt und präventiv bekämpft. Doch die Darstellung muss irgend eine Sphäre bleiben des Privaten oder der Kunst. Denn die Erforschung der eigenen Ängste, des Wahnsinns und Schmerzes, aber auch die kritische Darstellung als pointierte Kritik der Gesellschaft, kann gespeist sein von furchtbareren Bildern zum Erlernen der Empathie mit dem Opfer.
Letztlich ist aber auch der Markt, als treibende Kraft hinter den spektakulären Bildern des grenzüberschreitenden Exzesses mitverantwortlich an der Obsession mit Sex und Gewalt:
Beides verkauft sich bekanntlich gut, in Kombination ist es gewiss unschlagbar.
Hinzu kommt eine permanente Senkung der Schwelle zum Konsum. Die nächste beschaubare Vergewaltigung ist wenige Klicks – und dabei nicht einmal einen Cent wert – entfernt. Wer davon einmal angefixt wurde, der/dem fällt es schwer, sich dieser Sogwirkung zu entziehen.
Zwischen wohlmeinender Zensur und ungehemmter Liberalität der Bilder also, ist es geboten genau zu schauen, was Ursache und was Wirkung sein mag, was der Gesellschaft nütze und was dem Individuum schade, was die Frau und dem geschlechtlich Unbeschriebenen befreien mag und schließlich was auch in seiner rohen und ungezügelten Form einfach ausgehalten werden muss und sollte.
Fazit
Sowohl die direkte, als auch die indirekte Prostitution gehört geächtet und praktisch überwunden. Wie gezeigt jedoch ist es kaum möglich innerhalb des Kapitalverhältnisses, sei es reformatorisch oder verbietend, einzugreifen. Selbstverständlich befürworten wir den Sexkaufverbot, bei gleichzeitiger Entkriminalisierung und praktischer Hilfe der Opfer, insbesondere wo sie zusätzlich staatlicher und nationaler Diskriminierung ausgeliefert sind. Doch inwieweit der Staat, als automatischer Agent des Wertverwertungsprozesses, als dauerhafter Verbündeter für diese Strategie gewonnen werden kann, ist fraglich.
Letztlich brächte wohl nur die befreite Gesellschaft, global, demokratisch und sozialistisch organisiert, ein Zusammenleben ohne Prostitution hervor, im Ende des warenproduzierenden Patriarchats. Doch von Sexarbeit zu sprechen, als etwas Neutralem, oder gar Schönem oder Nützlichem, womöglich sogar Befreiendem, so stellt sich heraus, ist naiv, ignorant und schlicht falsch.
Solange Prostitution herrscht, ist der Mensch nicht frei.


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