Zuckerfreie Cola ohne Koffeein

Hier bin ich nun, der überzeugte Hedonist, der Pharmazeutophile – und spreche gegen Alkohol und Drogen.
Als hätte ich nicht Freuds Sentenz gelesen, die besagt, dass wer nicht rauche und trinke, mitnichten länger lebe, sondern es ihm nur so vorkäme. Doch wie komme ich, Schüler der Psychoanalyse, also dazu, ihm zu widersprechen, dem grandiosen psychologischen Epikureer?

Doch so las ich auch den Adorno, der da schrieb: „Archetypisch dafür ist der gut Aussehende, der im Smoking, spät abends, allein in seine Junggesellenwohnung kommt, die indirekte Beleuchtung andreht und sich einen Whisky-Soda mischt: das sorgfältig aufgenommene Zischen des Mineralwassers sagt, was der arrogante Mund verschweigt; daß er verachtet, was nicht nach Rauch, Leder und Rasiercreme riecht, zumal die Frauen, und daß diese eben darum ihm zufliegen.
Das Ideal menschlicher Beziehungen ist ihm der Klub, die Stätte eines auf rücksichtsvoller Rücksichtslosigkeit gegründeten Respekts. Die Freuden solcher Männer, oder vielmehr ihrer Modelle, denen kaum je ein Lebendiger gleicht, denn die Menschen sind immer noch besser als ihre Kultur, haben allesamt etwas von latenter Gewalttat.“
– aus: Adorno, Theodor W.: Minima Moralia: tough baby

Ja, Alkohol entmenschlicht, irgendwo zwischen männlicher Härte und weinerlichem Gebrechen steht der Betrunkene. Die vulgärhedonistische Szene mag sich dem Leistungsprinzip des allgegenwärtigen Geistes des Kapitalismus mit einer Reihe an selbstoptimierenden Partydrogen entgegenstellen, die dabei lediglich erfolgreich verhindern mögen, dass die Konsumenten ihre eigene Müdigkeit und Ausgezehrtheit zu erkennen in die Lage versetzt werden. Während sie sich so dem Sadismus der aufoktroyierten Disziplin der Arbeitswelt entziehen, opfern sie sich doch statthalber dem Masochismus der Zerstörung ihrer eigenen Gesundheit zum Maximum an kurzfristiger Ekstase. Den Besten und Schlimmsten unter ihnen mag gar beides noch gelingen. Letztlich reihen sich gar noch Computerspiele und Social-Media-Confirmations ein in den abhängigkeiterheischenden Suchtdruck des kapitalgesteuerten Marketings. Der Spätkapitalismus lebt von beidem: Disziplin und Zügellosigkeit.

Was also will ich nun? Prohibition? Verbot allen Genusses? Mitnichten. Das Gegenteil ist wahr: Denn in der Tat bin ich Hedonist. Lust und Genuss ist mir alles, Leid und Opfer dagegen, schätze ich gering. Und hier liegt die Krux: Ich will nicht dem Soziologen das Wort reden, der wieder und wieder festzustellen gewillt ist, dass der Alkoholgenuss einen Kitt darstellt, die Gemeinschaft pflege, ein kulturelles Gut darstelle, seit jeher und überhaupt schon damals im Neolithikum gegorene Früchte…
Und doch aber will ich das Vergnügen, die Wonne, das Freizügige.

Sucht dagegen, hinzu auch das kleine Gift mal nebenher, ist dem Genusse Feind. Demgegenüber steht die Kontrolle, die Bewusstheit über die eigenen Impulse und die Sublimierung der Lust in Lustvolles ohne Angst, Erniedrigung und Unterdrückung. Man muss dem Gründer der Psychoanalyse nicht seinen Kokainkonsum vorwerfen, um zu vermuten, dass sein kleiner Scherz vielleicht doch mehr seinem eigenen verhärteten Widerstand entspringt, als einer tatsächlichen Ode an die Freude.
Gesunde Ernährung, Bewegung, Kreativität, Bildung, Freundschaft, Muße und Sexualität: Dieses dagegen sind die Quellen der Lust, es bedarf ihr kein Gift, lediglich die Kultivierung der Fähigkeit sich selbst und die Menschen um sich herum schätzen zu mögen.

Wer dennoch behauptet, ich wolle doch nur einem säkularisierten Puritanismus das Wort reden, der lasse sich folgendes Bild vergegenwärtigen: Mein Hedonismus ist das einer eiskalten Cola auf Eis, dazu ein Spritzer Zitrone, doch zuckerfrei, koffeinfrei und – selbstredend seit 1914 – ohne Kokain.
Man schaffe daneben ein missglücktes Gemälde mit Potential, befriedige sich und zwei weitere Persönlichkeiten zugleich in gemeinsamer Ekstase ohne Folgen dank Verhütung, übe Paragliding im Himalaya über doppeltem Netze.

Der Tod mag einen ereilen, noch immer. Selbst im Bette und ohne eigenes Verschulden ist es möglich. Womöglich mag man sich auch eines Risikos mal irren oder welches bewusst eingehen, wenn der Gewinn einem allzu verführerisch erscheint. Und eventuell mag man daran verunglücken. Doch niemals, so rate ich dem Menschen, niemals eile dem Tod entgegen, wenn er es nicht besser machte als das Leben selbst.

Über Verbote habe ich jedoch nichts zu sagen, Prohibition erscheint mir so sympathisch wie paternalistisch. Doch bitte: Rede niemals gut über Drogen. Lebe gesund und genieße – und das lange.

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Mark Erschüttert Autodidakt
Mark Erschüttert ist gelernter Kaufmann für Büromanagement, mehr wohl aber liebevoller Glücksritter und impulsiver Geist. Als Stiefpapa und Studienabbrecher lebt er im Grenzgängertum zwischen kritischem Utopismus und profanem Realismus. Zudem: Dialektiker. Humanist. Unitarier – mit einer metaphysischen Hoffnung auf das Beste: Die negativ deologische Yeshu’a im Blick. Musikalisch ist er interessiert am Goth – insbesondere am Postpunk und Dark Wave – ohne jedoch vom esoterischen Überschuss irgendeiner sogenannten „schwarzen Szene“ betroffen zu sein. In der Malerei genießt er den Surrealismus, das Unverständige dabei mehr, als das Kitschige, zum Klischee Geronnene. Doch duldet er kein Stillstehen, gibt sich bei Allem auch die Freiheit sich zu entwickeln und am Morgen das Gegenteil zu genießen – ob Jazz oder Pop Art. Seine weitestgehend autodidaktische Bildung, sowohl im Privaten, wie auch in politischen Organisationen, ist nahezu frei von institutionellem Kapital. Es bleibt ihm eine beschädigte Seele, die jedoch das Denken, wie das Fühlen liebt. Er ist zwar gerne für sich, schätzt doch sonders die Verbundenheit und das Leben, liebt dabei zuvorderst auch all jene Menschen, die ihn prägten und noch immer prägen.

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