Lass es doch sein

ADHS

Die Museumsführerin stand vor einer Wand, die mit den höchsten und intelligibelsten aller historischen Kunstwerke bestückt war, die zwischen Vernunft, Religion, Traum und Mathematik changierten. Mit einer fast rituellen Geste hob sie die Arme, während ihr Blick das Publikum fixierte. Ihr Gesicht war von einer beinahe heiligen Ernsthaftigkeit durchdrungen, als sie zu sprechen begann.

„Dieses Gemälde im Stile des Expressionismus behandelt die Ambiguität anthropozentrischer Perversion peripher eines abstrakt-vulnerablen Substanzverständnisses im Sentimente Spinozas.“

Die Besucher nickten, als hätten sie diese Worte verstanden, doch in den Augen mancher spiegelte sich bereits eine stille Verwirrung. Ein älteres Paar stand mit gerunzelten Stirnen da, die Frau mit leicht vorgeneigtem Kopf, als könne sie durch die Schärfe ihres Hörsinns eine tiefere Erkenntnis erlangen. Ein junger Mann im Anzug tat, als würde er etwas notieren, doch sein Stift blieb reglos auf dem Papier.

Die Museumsführerin ließ sich davon nicht beirren, ihre Hände glitten durch die Luft wie Dirigentenstäbe, während sie sich einem zweiten Werk zuwandte.

„Dieses Werk wiederum, in der Schule des Surrealismus verortet, beschreibt die konstitutive Allodoxie kontemporärer Millieus in Silhouetten verfemter Granodienz.“

Ein Besucher räusperte sich und zog seinen Mantel enger um die Schultern, als könnte er sich vor dem Unverständlichen schützen. Eine Frau mit schmaler Brille nickte eifrig, ihre Lippen bewegten sich lautlos, als wiederhole sie die Worte der Museumsführerin wie ein Mantra.

Die Stimme der Führerin wurde lauter, ihre Euphorie steigerte sich:
„Jenes Exemplar, kosinzianischer Gattung, verfeinert nun die Antipathie des Observators reflexiv in idiosynkratischer Agonie frivoler Konstellationen in eroprysischer Phoresie.“

Die Gruppe bemühte sich sichtlich, den Worten zu folgen. Manche nickten eifrig, als ob sie den Sinn erfasst hätten, während andere angestrengt versuchten, nicht allzu verwirrt auszusehen. Ein Mann mit grauen Schläfen zog die Stirn in tiefe Falten, als versuche er eine mathematische Gleichung zu lösen. Ein junges Paar hielt sich an den Händen, als würde dieser Kontakt sie vor dem Unbegreiflichen schützen.

Die Museumsführerin schritt weiter, ihre Bewegungen wurden fließender, fast tänzerisch, während sie auf ein nächstes Bild deutete. Ihre Augen leuchteten vor Begeisterung, die Worte sprudelten wie Wasserfälle aus ihrem Mund.

„Dies‘ Mennomum nun, konewehrer Persifrenz, verdolleriert, ganz kontradiktorisch zum Divergierenden, die Feistheit im Konvulut rolehrer Badenochen.“

Ein leises Murmeln ging durch die Gruppe, als ein älterer Mann vorsichtig den Mut fasste: „Entschuldigen Sie… meinen Sie das ernst?“

Die Museumsführerin warf den Kopf zurück, schaute ihn grimmig, doch merkwürdig entrückt an, ehe sie laut auflachte. Ein helles, fast kindliches Lachen, das durch den Raum hallte. Ihre Augen glitzerten, als habe sie die größte aller Enthüllungen gemacht.

„Weiter vermilden im Wilden der Goränäen emäenäenäen, hulululuulululu… GARM!“

Plötzlich schien etwas zu brechen. Die Museumsführerin begann, ziellos durch den Raum zu irren, ihre Arme dabei wie ein Pavian von sich gestreckt und tief gebückt, ihre Bewegungen wurden hektisch und wirr. Sie hob die Hände, drehte sich im Kreis, ihre Worte verwandelten sich in sinnlose Lautfolgen, während sie fortwehrend lachte und mit lockeren Fäusten in die Luft schlug, als wolle sie die Atmosphäre greifen und zerrupfen.

Zeitgleich und instantan verfielen auch die Besucher, wie einer unheiligen Zauberformel folgend, einem kollektiven Wahnsinn. Einer begann, im Kreis zu laufen, seine Schritte hallten wie das Ticken einer unsichtbaren Uhr. Eine Frau ließ ihren Mantel fallen und vollführte Purzelbäume quer durch den Raum. Andere klatschten in die Hände, sprangen auf und hoben ab, flogen gar und landeten hart. Einige begannen, mit übertrieben ernsten Gesichtern wirre Worte zu brabbeln, während andere schrilles Gelächter ausstießen.

Ein Mann setzte sich mitten auf den Boden, seine Hände an die Schläfen gepresst, während er eine endlose Folge von „Blablablabla“ murmelte. Eine ältere Frau tanzte, als wäre sie von einer inneren Musik besessen, ihre Bewegungen chaotisch und schön zugleich. Zwei Besucher standen Rücken an Rücken, schrien abwechselnd unverständliche Worte und gestikulierten schließlich nur noch wie stumme Clowns.

Die Szene verlor jede Ordnung, wurde zu einem brodelnden Chaos aus sinnlosem Lärm und Bewegung, während der Raum in ruschki veruschki, grummidi der unbegreiflichsten Ekstase gurnaaaaaaaaaa… RUMS!

Big Squeeze.

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Mark Erschüttert Autodidakt
Mark Erschüttert ist gelernter Kaufmann für Büromanagement, mehr wohl aber liebevoller Glücksritter und impulsiver Geist. Als Stiefpapa und Studienabbrecher lebt er im Grenzgängertum zwischen kritischem Utopismus und profanem Realismus. Zudem: Dialektiker. Humanist. Unitarier – mit einer metaphysischen Hoffnung auf das Beste: Die negativ deologische Yeshu’a im Blick. Musikalisch ist er interessiert am Goth – insbesondere am Postpunk und Dark Wave – ohne jedoch vom esoterischen Überschuss irgendeiner sogenannten „schwarzen Szene“ betroffen zu sein. In der Malerei genießt er den Surrealismus, das Unverständige dabei mehr, als das Kitschige, zum Klischee Geronnene. Doch duldet er kein Stillstehen, gibt sich bei Allem auch die Freiheit sich zu entwickeln und am Morgen das Gegenteil zu genießen – ob Jazz oder Pop Art. Seine weitestgehend autodidaktische Bildung, sowohl im Privaten, wie auch in politischen Organisationen, ist nahezu frei von institutionellem Kapital. Es bleibt ihm eine beschädigte Seele, die jedoch das Denken, wie das Fühlen liebt. Er ist zwar gerne für sich, schätzt doch sonders die Verbundenheit und das Leben, liebt dabei zuvorderst auch all jene Menschen, die ihn prägten und noch immer prägen.

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