Versuch einer Leitidee
Als Linker kennt man eine gigantische Reihe an Strömungen, ihre Begrifflichkeiten und Komposita. Man ist Kommunistin, Sozialistin oder Anarchistin, man kennt Sozialdemokratie (demokratischer Sozialismus), Syndikalismus, Anarchokommunismus, Linkskommunismus, Stalinismus, Marxismus-Leninismus, Maoismus, Trotzkismus und nach all den gescheiterten Jahrhunderten einiges mehr. Sie alle aufzuzählen wäre unmöglich und im besten Falle vergeudete Zeit.
Was es allerdings nicht oder im mir nicht bekannten Maße gibt, ist der Ausdruck demokratischer Kommunismus. Ich werde nun im Folgenden darlegen, warum es diesen Begriff nicht gibt, warum ich ihn trotzdem, zusätzlich zum bekannten, für notwendig erachte und was er bedeuten kann.
Warum eigentlich nicht?
Einfach gesagt gibt es gegen den Ausdruck zwei Einwände: Für die bürgerlichen ist er schlicht ein Oxymoron, ein Widerspruch in sich. Für die Kommunisten ist er das genaue Gegenteil: Eine Tautologie, eine undialektische Doppelung, da der Kommunismus die Demokratie in sich einschließt.
Dem ersten Einwand wird hier das Feld geräumt, es ist an dieser Stelle nicht das Ziel des Textes liberale Vorurteile zu widerlegen, das mag zu anderer Zeit geschehen. Das fromme Vorurteil der Linken allerdings, soll hier erörtert werden.
Der Kommunismus ist nach Marx „[…] nicht ein Zustand, der hergestellt werden soll, ein Ideal, wonach die Wirklichkeit sich zu richten haben [wird]. Wir nennen Kommunismus die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt.“ (Marx, Engels: Die deutsche Ideologie, 1846, MEW 3, S. 35)
Hier ist bereits alles angelegt, was obwohl der noblen Richtigkeit der Perspektive, zu praktischen Schwierigkeiten führt.
Wenn die wirkliche Bewegung, als Aufhebung aller Unterdrückung, Kommunismus genannt wird, so ist dieser implizit und seinem Wesen nach demokratisch.
Als Kommunist also, als Agent der wirklichen Bewegung, kann man nur demokratisch sein, und ein demokratischer Kommunismus wäre in der Tat überflüssig.
Da sich nun aber das teleologisch fortschrittsoptimistische Geschichtsverständnis als falsch – oder mindestens zeitweilig als empirisch widerlegt – herausgestellt hat, so ist das Modell der praktischen Kommunisten vergangener Zeiten (Machtergreifung, sozialistische Umwälzung, Errichtung des Kommunismus) zum Totalitarismus pervertiert.
Die Gründe hierfür sind mannigfach und erweisen sich als ebenfalls würdiges Thema weiterer Betrachtungen.
Aus diesem Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit gibt es nun drei Fluchtwege:
1. Der historische Sozialismus ist in der Tat demokratisch und nur aus bürgerlicher Ideologie heraus betrachtet totalitär. Die Befreiung ist in diesen (übriggebliebenen) Ländern bereits vollzogen.
2. Der historische Sozialismus ist noch nicht der Kommunismus, sondern in seinem Zwischenstadium steckengeblieben oder noch auf dem Weg dorthin.
3. Der historische Sozialismus hat tatsächlich nichts mit einem „wirklichen“ Kommunismus zu tun.
Lösung 1 wird an dieser Stelle kategorisch ausgeschlossen und erscheint dem Autor als so offensichtlich unwahr und wird von nur so wenigen Schlusslichtern vertreten, dass eine weitere Begründung vernachlässigt wird.
Deutlich schwieriger zu behandeln sind 2 und 3.
Die einfachere und sympathischere Lösung erscheint zunächst 3 zu sein, weil es erlaubt die Lehre des implizit demokratischen Kommunismus rein zu erhalten.
Da sich diese Lehre aber auf keinerlei reale Bewegung mit erkennbarer Massenbasis stützen kann, so verkommt dieser Begriff zum leeren Utopismus, der alles ablehnt, was im Namen des Kommunismus geschieht – was der Perspektive Marxens im Inneren widerspräche -.
Die 2. Lösung dagegen hat den entscheidenden Vorteil den Anspruch der Wissenschaftlichkeit ausgehend vom Glauben an eine empirische Wirklichkeit, einer ‚wirklichen‘ Bewegung, aufrecht zu erhalten.
Ob dieses erstarrte Zwischenstadium sich geschichtlich aber tatsächlich zum Kommunismus entwickeln wird, ist allerdings redlicherweise nicht prognostizierbar und kann, nüchternen Blickes auf die realsozialistischen Gesellschaften und ihre Protagonisten heute, bezweifelt werden.
Keine Lösung?
Anhand meiner kurzen Ausführungen der drei Lösungen und ihrer Probleme kann festgestellt werden, dass heute tatsächlich die Definition zumindest verändert interpretiert werden muss, will man die (dialektische) Wissenschaftlichkeit als Einheit von Theorie und Praxis, von Empirie und Befreiung aufrechterhalten.
Um dem Wesen des Marxschen Denkens treu bleiben zu können, muss die ideologische Oberfläche seines Denkens den Realitäten angepasst werden.
Eine Abgrenzung zu den nominellen Kommunisten und Ihrer versteinerten Bewegung ist und bleibt notwendig, will man Kommunist sein. Der Kommunismus, als ‚wirkliche‘ Bewegung ist nicht mehr gekoppelt an die kommunistische Partei in heutiger Verfassung. Partei und Bewegung haben sich historisch getrennt und verfolgen grundlegend andere Ziele. Während die Partei überlebte, indem sie die Befreiung aufgab und sich vom wirklichen Kommunismus zeitweise oder endgültig entfernte, starb die Bewegung selbst ab.
Der demokratische Kommunismus hat diesen Fakt anzuerkennen.
Während die Sozialdemokraten den ursprünglich synonymen Begriff des demokratischen Sozialismus zum korporatistischen Liberalismus mit Tendenz zum pragmatischen Postfordismus gewandelt haben, beinhaltet der demokratische Kommunismus in Bezug auf die Geschichte des Sozialismus eine doppelte Abgrenzung:
Eine Abgrenzung zum despotischen Sozialismus auf der einen Seite und eine zum Wohlfahrtskapitalismus auf Abruf auf der anderen.
Eine dritte Abgrenzung zum antiautoritären Sozialismus ist möglich, der in seiner Geschichte, trotz seiner prinzipiellen Freundlichkeit dem Menschen gegenüber, keinerlei Erfolge erzielen konnte mangels effizienter Organisierung.
Was bleibt?
Nach den bisherigen Erkenntnissen scheine ich mich mit meinen Ausführungen nun doch auf die Lösung 3 zubewegt zu haben. Was ich aber nun vorschlage ist eine prinzipielle Offenheit gegenüber der Geschichte und den Lösungen 2 und 3.
Ob und inwieweit eine Befreiung der Gesellschaft nach Auschwitz und dem Zusammenbruch des Großteils des (despotischen) sozialistischen Blocks derzeit möglich ist, kann bezweifelt werden.
Aus diesem Grund ist die Frage nach dem Ort der Revolution noch nicht zu beantworten.
Vielleicht können die übriggebliebenen Sozialismen mit der Zeit eine Perspektive der Demokratisierung ohne Privatisierung der Produktionsmittel entwickeln, möglich ist aber auch eine Sozialisierung innerhalb der bereits demokratischen kapitalistischen Zentren.
Eventuell können die Peripherien, weder nominell sozialistisch, noch demokratisch, eines Tages die Bewegung hervorbringen, die uns Vorbild sein kann zur Überwindung unmenschlicher Verhältnisse.
Die Antwort auf diese Frage bleibt uns die Geschichte schuldig.
Was wollen wir nun?
Die kommende demokratisch-kommunistische Partei muss parteiisch sein, aber pragmatisch. Sie ist kämpferisch liberal, wenn die bürgerliche Demokratie durch Despotien bedroht wird und revolutionär, wenn das Kapital durch eine Bewegung der Arbeitenden in Bedrängnis gerät.
Um eine neue kommunistische Partei begründen zu können, die ihren Namen wert ist, muss die demokratische Kommunistin die Vorteile bürgerlich-demokratischer Gesellschaften mit den Vorzügen des sozialistischen Wirtschaftens verbinden.
Die Partei wäre konservativ oder bürgerlich-revolutionär, gegenüber dem Erhalt oder der Erringung formalen Rechts und der Rechtssicherheit der Person und des Individuums, umstürzlerisch gegenüber dem Privateigentum und der territorialen und gruppenbezogenen Begrenztheit universeller Menschenrechte durch staatliche Organisation und kultureller Beschränktheit.
Wir demokratische Kommunistinnen müssen angesichts des Fehlens eines revolutionär auftretenden Proletariats also mehr noch als früher die Tendenzen der Geschichte erfassen. Wir müssen sensibel sein für die Ausschläge und Ziele gesellschaftlicher Aufbrüche und klar in unserer Analyse und unserem Programm.
Der demokratische Kommunist kennt seine Verbündeten und bietet sich an, weiß aber um seine Feinde zur rechten Zeit.
Er erkennt die Bewegung, wo sie entsteht, auch wo sie sich selbst nicht oder nur teilweise bewusst ist.
Die demokratische Kommunistin ist nicht gegen Parlamentarismus, wo dieser funktioniert, sondern für die Räte, wo private oder staatliche Diktatur herrscht.
Das Ziel demokratischer Kommunistinnen ist ein korrektives System der Gewaltenteilung, zum Ziele der Arbeitsorganisation aller notwendigen Arbeiten nach den Bedürfnissen der Individuen.
Jenseits des absolut Notwendigen soll kein Zwang mehr ausgeübt werden.
Und das wichtigste zuletzt
Wir halten den Kommunismus für möglich und besser als alles bisherige.


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